André Schah-Sedi, Dr. Michael Nugel
1. Vollmacht
Rz. 48
Das Verteidigerverhältnis wird durch einen zivilrechtlichen Vertrag begründet, zur Legitimation bedarf es grundsätzlich keiner schriftlichen Vollmacht, Handlungen des Verteidigers sind daher auch ohne Vorlage einer schriftlichen Vollmacht wirksam. Legt z.B. der bevollmächtigte Verteidiger rechtzeitig Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid ein, ist dieser auch dann wirksam, wenn der Verteidiger erst nach Ablauf der Einspruchsfrist eine Bevollmächtigung nachweist.
Neben dieser allgemeinen Verteidigervollmacht gibt es die sog. Erklärungsvollmacht des § 234 StPO. Diese Erklärungsvollmacht erlaubt es dem Verteidiger Erklärungen für den Angeklagten/Betroffenen abzugeben. Eine solche Erklärungsvollmacht i.S.d. § 234 StPO muss dem Gericht bei Beginn der Verhandlung schriftlich vorgelegt werden, damit persönliche Verfahrensrechte an Stelle des Angeklagten/Betroffenen wahrgenommen werden können, z.B. bei der Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gem. § 73 Abs. 2 OWiG.
Es ist streitig, ob der Verteidiger einen solchen Entbindungsantrag gem. § 73 Abs. 2 OWiG noch zu Beginn der Hauptverhandlung stellen kann. Es empfiehlt sich daher, bereits vor Beginn der Hauptverhandlung einen schriftlichen Entbindungsantrag unter Bezugnahme auf die schriftlich abgereichte Erklärungsvollmacht des Verteidigers gem. § 73 Abs. 2 OWiG zu stellen.
Rz. 49
Der Verteidiger, dessen schriftliche Vollmacht sich in den Akten befindet, ist gem. § 51 Abs. 3 OWiG zustellungsbevollmächtigt. Erforderlich ist jedoch, dass die Zustellung an den Anwalt erfolgt, der sich zum Verteidiger bestellt hat.
Gem. § 178 ZPO kann die Zustellung auch an einen Vertreter, z.B. an das Büropersonal in den Geschäftsräumen der Anwaltskanzlei erfolgen.
Liegt eine schriftliche Vollmacht des Verteidigers nicht vor und erfolgt eine förmliche Zustellung an den Betroffenen selbst nicht, so ist eine Zustellung an den Verteidiger unwirksam. Dies hat zur Folge, dass ein so zugestellter Bußgeldbescheid keine verjährungsunterbrechende Wirkung hat.
Ladungen für den Mandanten können dem Verteidiger nur dann zugestellt werden, wenn eine entsprechende Vollmacht dies ausdrücklich vorsieht.
2. Tateinheit/Tatmehrheit und der Begriff der prozessualen Tat
Rz. 50
In § 52 StGB ist der Begriff der Tateinheit geregelt. Tateinheit setzt voraus, dass eine Handlung mehrere Gesetzestatbestände oder denselben Tatbestand mehrmals erfüllt. Erforderlich ist mithin eine Handlungseinheit.
Verletzt also dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals so wird gem. § 52 StGB nur auf eine Strafe erkannt.
Darüber hinaus wird in § 52 Abs. 2 StGB die Art und Weise der Strafzumessung bei Erfüllung mehrerer Tatbestände durch eine Handlung geregelt.
In § 53 StGB ist der Begriff der Tatmehrheit geregelt.
Hat jemand mehrere Straftaten begangen, die gleichzeitig abgeurteilt werden, so wird gem. § 53 StGB auf eine Gesamtstrafe erkannt. Es wird also für jede Straftat eine Einzelstrafe festgesetzt aus der dann eine Gesamtstrafe gebildet werden muss.
a) Besonderheiten bei dem Ordnungswidrigkeitenverfahren
Rz. 51
Im Verkehrsordnungswidrigkeitenbereich stellt sich sehr häufig die Frage, ob der Betroffene tateinheitlich i.S.d. § 19 OWiG oder aber tatmehrheitlich i.S.d. § 20 OWiG gehandelt hat.
Begeht z.B. ein Kraftfahrzeugführer in einem engen zeitlichen Zusammenhang mehrere Geschwindigkeitsüberschreitungen oder aber mehrere verschiedene Ordnungswidrigkeiten, wie z.B. das Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes und eine zeitgleich begangene Geschwindigkeitsüberschreitung, so stellt sich die Frage, ob eine tateinheitliche oder eine tatmehrheitliche Begehung vorliegt.
Tateinheit i.S.d. § 19 OWiG ist gegeben, wenn dieselbe Handlung mehrere Gesetze oder ein Gesetz mehrmals verletzt.
Tateinheit i.S.d. § 19 OWiG ist dann gegeben, wenn gleichartige Delikte begangen werden, die in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen und von einem einheitlichen Willen getragen werden. Darüber hinaus muss das gesamte Verhalten bei objektiven Interessen als ein einheitliches Geschehen erscheinen.
Rz. 52
Liegen mehrere Verstöße vor, die tateinheitlich begangen worden sind, wird gem. § 19 Abs. 2 OWiG die Geldbuße nach dem Gesetz bestimmt, das die höchste Geldbuße androht; vgl. auch die entsprechende Regelung in § 4 Abs. 2 S. 4 StVG.
Tatmehrheit i.S.d. § 20 OWiG liegt dagegen dann vor, wenn mehrere Handlungen nicht als natürliche oder rechtliche Handlungseinheit zusammengefasst werden können, insbesondere wenn kein räumlich oder zeitlich enger Zusammenhang zwischen den Verkehrsverstößen gegeben ist.
Ist Tatmehrheit gegeben, werden gem. ...