André Schah-Sedi, Dr. Michael Nugel
Rz. 349
Mit dem neuen § 844 Abs. 3 BGB sowie dem gleichlautenden § 10 Abs. 3 StVG ist nun erstmals im deutschen Schadensersatzrecht ein "Hinterbliebenengeld" eingeführt worden, wonach der Ersatzpflichtige verpflichtet wird, dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung zu leisten.
Dieses Hinterbliebenengeld gilt gem. Art. 229 § 43 EGBGB nur für Neufälle, die sich nach dem Inkrafttreten der Vorschrift am 22.7.2017 ereignet haben. Zu beachten ist dabei, dass ein Anspruch i.S.d. Übergangsvorschriften des EGBGB bereits zum Zeitpunkt der Verletzungshandlung entsteht. Erforderlich ist daher, dass sowohl der Tod als auch die zu ihm führende Verletzungshandlung zu diesem Zeitpunkt eingetreten sind.
Rz. 350
Ein Anspruch auf Ersatz eines Hinterbliebenengeldes nach § 844 Abs. 3 BGB bzw. den gleichlautenden Vorschriften im Gefährdungsrecht setzt erst einmal eine entsprechende Haftung nach den Vorschriften des Delikts oder Gefährdungsrechts einschließlich des dazu gehörenden Kausalzusammenhangs voraus. Diesem hinzu kommen die nachfolgenden weiteren Voraussetzungen. Der Anspruch steht nach dem klaren Wortlaut dabei nur dem Hinterbliebenen zu, der den Tod einer ihm nahestehenden Person zu beklagen hat. Dies bedeutet, dass auch eine noch so schwere Verletzung einer nahestehenden Person, die nicht zum Tod führt, gerade nicht genügt, und insoweit dürfte auch eine Analogie ausscheiden.
Rz. 351
Weitere Voraussetzung ist, dass der Hinterbliebene in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis zur getöteten Person gestanden haben muss. Dieses Näheverhältnis besteht kraft der im Gesetz aufgestellten Vermutung zwischen dem Getöteten und folgenden vier Partnern bzw. Angehörigen:
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seinem Ehegatten; |
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seinem Lebenspartner i.S.d. LPartG; |
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seinen Eltern; |
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seinen Kindern. |
Rz. 352
Über diese nicht abschließende Aufzählung hinaus kommt auch ein weiterer Personenkreis in Betracht, wenn ein besonders persönliches Näheverhältnis zu bejahen ist. Ein solches Näheverhältnis wird im Regelfall dadurch gekennzeichnet sein, dass die Beteiligten sich kennen, gegenseitig vertrauen und wertschätzen. Das gewählte Adjektiv "besonderes" stellt dabei klar, dass es sich um ein gesteigertes Näheverhältnis handeln muss, welches über die Tiefe und Intensität rein freundschaftlicher Verbindung im privaten oder beruflichen Bereich deutlich hinausgeht. Maßgeblich ist dabei nach dem Willen des Gesetzgebers die Intensität der tatsächlich gelebten Beziehung, die erheblich sein muss. Maßstab soll insbesondere eine Intensität sein, wie sie typischerweise in den in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB aufgeführten Fällen besteht.
Rz. 353
Voraussetzung ist darüber hinaus, dass der Hinterbliebene auch tatsächlich ein Leid erlitten hat. Insoweit ist zu beachten, dass nach der bisherigen Gesetzeslage nur eine Haftung des Schädigers für sog. "Schockschäden" bei nahestehenden Angehörigen gegeben sein konnte und der Gesetzgeber diese Haftung nunmehr ausgeweitet hat. Dies hat zur Folge, dass die Voraussetzungen für ein erlittenes Leid deutlich geringer als bei der bisherigen Rechtsprechung zu sog. Schockschäden anzusetzen sind. Das erlittene Leid muss zudem aufgrund der Tötung entstanden sein, und dies erfordert einen entsprechenden Kausalzusammenhang zum Todeseintritt (als Primärfolge), für den überzeugenderweise der erleichterte Beweismaßstab des § 287 ZPO gelten dürfte.
Rz. 354
Auch bei der Höhe der angemessenen Entschädigung für das erlittene Leid hat sich der Gesetzgeber gegen eine festgelegte Höhe eines bestimmten Betrags entschieden, um eine Einzelfallgerechtigkeit zu gewährleisten, und überlässt damit die Bestimmung weitestgehend der Literatur und der Rechtsprechung. Allerdings lassen sich der Gesetzesbegründung auch mehrere Hinweise zur Bestimmung der möglichen Höhe eines solchen Anspruchs entnehmen.
Die maßgebliche Passage ist dabei wie folgt hervorzuheben: "Die Höhe des Schmerzensgeldes bei Schockschäden und die insoweit von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze könnten eine gewisse Orientierung geben. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Anspruch auf Hinterbliebenengeld keine außergewöhnliche gesundheitliche Beeinträchtigung voraussetzt."
Rz. 355
Diese Erwägungen des Gesetzgebers werden überzeugenderweise in der Literatur so verstanden, dass die bisher in der Rechtsprechung entwickelten Beträge bei der Bemessung eines angemessenen Schmerzensgeldes für Schockschäden bei dem Unfalltod nahestehender Personen sowohl einen Orientierungspunkt als auch die denkbare Obergrenze für eine Entschädigung als Hinterbliebenengeld darstellen.
Zur Höhe dieser Entschädigung findet sich bspw. vom Gesamtverband der Versicherungswirtschaft folgender Hinweis: "Im Rahmen der Schockschadenregulierung zahlen Haftpflichtversicherer in der Regel Beträge von 3.000 bis 5.000 EUR. Diese Zahlunge...