A. Früherer Gewaltbegriff
Rz. 1
Nach dem in der Rechtsprechung früher geltenden "entmaterialisierten" Gewaltbegriff war Gewalt i.S.d. § 240 StGB auch eine lediglich psychische Einwirkung, die infolge ihrer psychosomatischen Auswirkungen körperlich empfunden wurde (BGH NStZ 1991, 218). Unter Geltung dieses Gewaltbegriffes war es unproblematisch, ein entsprechend aggressives Fahrverhalten im Straßenverkehr herunter zu subsumieren.
B. Nach der "Sitzblockadeentscheidung"
Rz. 2
Das BVerfG hält dagegen in seiner zu Sitzblockaden ergangenen Entscheidung die Subsumtion von lediglich psychischen Eingriffen unter den Gewaltbegriff für verfassungswidrig (BVerfG NJW 1995, 1141).
Rz. 3
Es verneint das Merkmal der Gewalt, wenn von der lediglich körperlichen Anwesenheit des Täters nicht mehr als eine psychische Einwirkung auf Dritte ausgeht. Da das Bundesverfassungsgericht für die Annahme von Gewalt offensichtlich eine körperliche Kraftentfaltung voraussetzte, war zweifelhaft geworden, ob bestimmte Fahrvorgänge wie z.B. zu dichtes Auffahren, Drängeln oder notorisches Linksfahren noch Gewalt i.S.d. § 240 StGB darstellten.
C. Auswirkungen auf das Verkehrsrecht
Rz. 4
Die Auswirkungen der "Sitzblockadeentscheidung" auf das Verkehrsrecht waren lange Zeit nicht geklärt. Vielfach war auch die Befürchtung geäußert worden, sie werde einen Großteil von aggressivem Verhalten im Straßenverkehr der strafrechtlichen Ahndung entziehen, umso eher als die neuere Rechtsprechung des BGH die Einordnung aggressiven Fehlverhaltens unter die Strafvorschrift des § 315c StGB nur noch unter einem eingeengten Begriff der konkreten Gefahr zulässt (BGH NZV 2000, 213) bzw. unter die Vorschrift des § 315b StGB nur noch, wenn dem Fahrer Schädigungsvorsatz nachzuweisen ist (BGH zfs 2003, 314).
Das hat dann gar wiederholt zu der Forderung nach gesetzgeberischer Maßnahmen zur Schaffung eines eigenen Straftatbestandes gegen aggressive Fahrweisen geführt, was jedoch (u.a. auch von dem 43. Deutschen Verkehrsgerichtstag Goslar 2005) nicht zuletzt im Hinblick auf die immer noch funktionierende Auffangfunktion des § 240 StGB (OLG Köln DAR 2004, 469) abgelehnt wurde.
Rz. 5
Gegen das BVerfG hatte der BGH sich nämlich schon früh mit seiner "Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ (BGH DAR 1995, 453; NJW 1995, 2862) von einem zu engen Gewaltbegriff abgesetzt. Mit diesen Entscheidungen hat er auch dann Gewalt bejaht, wenn wegen des vom Täter zum Anhalten gezwungenen ersten Fahrzeuges die nachfolgenden nicht mehr weiterfahren konnten. In der obergerichtlichen Rechtsprechung hat sich danach zumindest an der Strafbarkeit der "klassischen" Nötigungstatbestände des Straßenverkehrs nichts geändert (OLG Karlsruhe StraFo 1998, 97)."
Rz. 6
Diese Rechtsprechung hat auch das BVerfG (zfs 2007, 352) gebilligt, in dem es betont, dass z.B. auch ein bedrängendes, dichtes Auffahren (selbst im innerstädtischen Verkehr) dann Gewalt sein kann, wenn ein solches Fahrverhalten beim Adressaten nicht nur als psychischer Zwang, sondern auch körperlich (z.B. als Angstreaktion) empfunden wird.
Rz. 7
Achtung: Kurzzeitige Behinderung ist nur Ordnungswidrigkeit
Der Straftatbestand soll allerdings nur nötigendes Verhalten von einigem und nicht auch lediglich kurzzeitiges oder dichteres Fehlverhalten erfassen (OLG Stuttgart VRS 80, 345; OLG Köln NZV 2000, 99). Ein Verkehrsverstoß kann deshalb immer nur dann zu einer strafbaren Nötigung werden, wenn sich die besondere Dauer und Intensität der Zwangseinwirkung und auch das Maß einer etwa hierdurch bewirkten Gefährdung feststellen lassen (OLG Stuttgart VRS 80, 345; OLG Karlsruhe StraFo 1998, 97; OLG Köln DAR 2007, 39). Kurzzeitige geringer gewichtige Behinderungen fallen deshalb schon aus dem Gewaltbegriff heraus (OLG Köln NZV 2000, 99).
Tipp: Subjektiver Tatbestand bei Behinderungen
Der subjektive Tatbestand setzt bei Behinderungen im Straßenverkehr voraus, dass die Einwirkung auf einen anderen nicht bloß Folge, sondern Zweck des verbotswidrigen Verhaltens war. Gegen den allein rücksichtslosen Verkehrsteilnehmer, der seine Ziele auf Kosten anderer zwar eigensüchtig verfolgt, aber die für andere eintretenden Folgen dabei lediglich in Kauf nimmt, scheidet deshalb ein Schuldspruch wegen Nötigung regelmäßig aus (OLG Brandenburg NZV 2014, 102).
D. Einzelfälle
I. Bewusstes Versperren des Weges
1. Durch Fußgänger
Rz. 8
Mit Blick auf die Sitzblockadeentscheidung kann dann, wenn die Handlung des Fußgängers lediglich in seiner körperlichen Anwesenheit besteht und deshalb die Zwangswirkung auf den Kraftfahrer nur psychischer Natur ist, der Tatbestand der Nötigung nicht bejaht werden (BGH StV 2002, 360).
Rz. 9
Das gilt z.B. auch dann, wenn der Fußgänger eher zu Demonstrationszwecken auf der Fahrbahn geht, um den Fahrzeugverkehr zu behindern (Münchner Straßengeherfall, BGHSt 41, 231). Legt sich ein Fußgänger dann jedoch, nachdem der Kraftfahrer angehalten hat, mit dem Körper auf die Motorhaube des Pkw, um den Fahrer an der Weiterfahrt zu hindern, liegt Nötigung vor (BGH NStZ-RR 2002, 236).
2. Mit Fahrzeug
Rz. 10
Das bewusste Versperren des Weges durch Schaffung eines Hindernisses mittels eines Fahrzeuges stellt eine Gewaltanwendung dar (OLG ...