A. Das versicherungsrechtliche Mandat
Rz. 1
Statistisch gesehen entfallen auf jeden Bundesbürger ca. sechs Versicherungsverträge – Inhalt und Auslegung dieser Verträge sind oft Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen Versicherern und Versicherungsnehmern. Gleichwohl wird diesem ebenso wichtigen wie überschaubaren Rechtsgebiet in der Anwaltschaft nur wenig Interesse entgegengebracht; die bei vielen Rechtsanwälten vorhandene Unkenntnis auf diesem Gebiet führt oft zu einer unnötigen Konfrontation mit den Versicherern.
Der Beratungsmarkt wird nahezu ausschließlich den Versicherungsagenten und Maklern überlassen, während nur unabhängige Rechtsanwälte eine objektive Beratung gewährleisten können, da ihr Honorar nicht davon abhängt, ob und in welchem Umfang tatsächlich Versicherungsschutz in Anspruch genommen wird.
Der Deutsche Anwaltverein hat eine Arbeitsgemeinschaft Versicherungsrecht gegründet, in der versicherungsrechtlich orientierte und interessierte Rechtsanwälte in Fortbildungsveranstaltungen und in einer eigenen Schriftenreihe über aktuelle Probleme und Entwicklungen des Versicherungsrechts informiert werden.
Anders als bei der Unfallregulierung geht es im Versicherungsvertragsrecht um die Geltendmachung von vertraglichen Ansprüchen, so dass der Versicherer nur nach den allgemeinen Verzugsregeln die Anwaltskosten zu tragen hat. Ist der Versicherer nicht in Verzug und besteht auch keine Schadenersatzpflicht aus pVV (§ 280 BGB) oder anderen rechtlichen Gründen, braucht der Versicherer die Anwaltskosten nicht zu ersetzen. IdR ist auch der Rechtsschutz-Versicherer nicht eintrittspflichtig, solange der in Anspruch genommene Versicherer nicht gegen Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsvertrag verstoßen hat.
B. Rechtliche Grundlagen
Rz. 2
Neben den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen aus BGB, HGB und VVG haben die dem Vertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) entscheidende Bedeutung.
I. Übersicht über VVG und AVB
1. Versicherungsvertragsgesetz (VVG)
Rz. 3
Das Privatversicherungsrecht befasst sich ausschließlich mit der Binnenversicherung, nicht mit der Seeversicherung.
Das VVG ist lex specialis zum BGB, es gilt für alle Versicherungszweige, soweit nicht einzelne Vorschriften durch die allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) abgeändert worden sind.
Das (neue) VVG ist zum 1.1.2008 in Kraft getreten und gilt ab 1.1.2009 für alle Versicherungsverträge, also auch für die Altbestände. Versicherungsfälle, die unter der Geltung des vorigen VVG vor dem 1.1.2009 eingetreten sind, werden noch nach altem Recht abgewickelt. Das neue VVG räumt den Versicherungskunden mehr Rechte ein, sie befinden sich nunmehr (fast) auf gleicher Augenhöhe mit den Versicherern.
Wenn der Versicherer von der Möglichkeit der Vertragsanpassung nach Art. 1 Abs. 3 EGVVG keinen Gebrauch gemacht hat, kann er sich nicht auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung berufen. Eine geltungserhaltende Reduktion auf den zulässigen Inhalt ist unzulässig. Der Versicherer kann sich wohl auf grobe Fahrlässigkeit gem. § 81 Abs. 2 VVG oder Gefahrerhöhung (§§ 23 ff. VVG) berufen. Diese – einseitige – Vertragsanpassung war nur im Kalenderjahr 2009 möglich, so dass eine spätere Änderung der AVB nur mit Zustimmung des Versicherungsnehmers möglich ist.
Die Neufassung des VVG war von einer aus 21 Mitgliedern bestehenden Expertenkommission vorbereitet worden, die im April 2004 einen Abschlussbericht vorgelegt hat, der 556 Seiten umfasste und als Vorschlag ein fertig ausformuliertes Versicherungsvertragsgesetz enthielt. Obgleich in dieser Kommission die Vertreter der Assekuranz zahlenmäßig dominierten, kann dieser Entwurf als durchaus ausgewogen bezeichnet werden und ist auch im Gesetzgebungsverfahren nicht wesentlich verändert worden.
Im Vordergrund der Beratungen sowohl in der Kommission als auch im Gesetzgebungsverfahren stand der Wille, dem Bedürfnis nach einem modernen Verbraucherschutz Rechnung zu tragen.
Die umfassende Rechtsprechung des Reichsgerichts und des BGH, durch die bereits eine Besserstellung der Versicherungsnehmer bewirkt worden war, ist in die Beratungen und in die Fassung des Gesetzes eingeflossen.
Kernpunkt des neuen VVG ist der Wegfall des Alles-oder-Nichts-Prinzips bei grober Fahrlässigkeit, Obliegenheitsverletzung und Gefahrerhöhung. Nunmehr erhält der Versicherte auch dann anteiligen Versicherungsschutz, wenn er sich grob fahrlässig verhalten hat.
Bei der Lebensversicherung werden die Versicherten angemessen an den mit ihren Prämien erwirtschafteten Überschüssen beteiligt; erstmalig erhält der Versicherungsnehmer auch einen Anspruch auf Beteiligung an den stillen Reserven.
Das neue VVG enthält umfassende Beratungs- und Informationspflichten des Versicherers vor und bei Abschluss des Versicherungsvertrages. Auf diese "Zwangsberatung" wie die Assekuranz diese Pflicht apostrophiert, kann jedoch in einem gesonderten Schriftstück verzichtet werden.
Das VVG berücksichtigt auch di...