Peter Houben, Dr. Stephan Karlsfeld
1. Allgemeines
Rz. 35
Der Arbeitnehmer, der eine schriftliche Kündigung oder Änderungskündigung nicht hinnehmen möchte, weil er die Kündigung oder die Änderung der Arbeitsbedingungen für sozial ungerechtfertigt hält, kann nur durch rechtzeitige Klageerhebung vermeiden, dass die Kündigung als von Anfang an rechtsunwirksam gilt bzw. ein im Zusammenhang mit der Änderungskündigung erklärter Vorbehalt erlischt, § 7 KSchG (s. zur Kündigung auch § 25 Rdn 25 ff. und § 29 Rdn 1 ff.). Die Kündigung selbst muss zum Streitgegenstand des Prozesses gemacht werden. Es genügt nicht, die aus der angenommenen Unwirksamkeit der Kündigung abgeleiteten Fortbestandsfolgen für das Arbeitsverhältnis im Klageweg geltend zu machen, also bspw. lediglich den Annahmeverzugslohn einzuklagen. Nach § 4 S. 1 KSchG ist der Antrag auf Feststellung danach zu richten, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die (datumsmäßig bezeichnete) Kündigung der Beklagten nicht aufgelöst ist.
Rz. 36
Nicht nur wegen der Erweiterung der Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG für alle Kündigungsschutzklagen, sondern auch wegen der Rechtskraftwirkung einer die Kündigungsschutzklage abweisenden Entscheidung muss der Arbeitnehmer alle Gründe in den Prozess einführen, aus denen sich, unabhängig von der Geltendmachung, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, deren Unwirksamkeit ergeben kann. Er muss z.B. die fehlende Anhörung des Betriebsrates rügen oder die Missachtung eines Kündigungsverbotes, etwa aus § 9 Abs. 1 MuSchG (vgl. APS/Hesse, § 4 Rn 102). Der Arbeitgeber ist aus dem gleichen Grund gehalten, alle Tatsachen vortragen, ggf. auch andere Beendigungsgründe, aus denen sich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu dem in der Kündigung bezeichneten Termin ergibt.
Rz. 37
Im Fall der Änderungskündigung, also bei einer Kündigung, die der Arbeitgeber mit dem Angebot verbindet, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Arbeitsbedingungen fortzusetzen, kann der Arbeitnehmer nach § 2 KSchG das Angebot innerhalb der Kündigungsfrist, spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung, unter dem Vorbehalt annehmen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist. Auf diese Weise wird zumindest der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gesichert, wenn auch bei ungünstigem Ausgang der Änderungsschutzklage für den Arbeitnehmer zu letztlich schlechteren Arbeitsbedingungen. Bei günstigem Ausgang für den Arbeitnehmer, d.h. bei der gerichtlichen Feststellung, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt ist, gilt nach § 8 KSchG die Änderungskündigung als von Anfang an rechtsunwirksam. Auch bei der Änderungsschutzklage muss der Arbeitnehmer rechtzeitig klagen, weil andernfalls nach § 7 KSchG der erklärte Vorbehalt erlischt.
2. Geltungsbereich
Rz. 38
Die Vorschriften über den Allgemeinen Kündigungsschutz – §§ 1–14 KSchG – und über den Kündigungsschutz i.R.d. Betriebsverfassung und Personalvertretung – §§ 15, 16 KSchG – gelten nach § 23 Abs. 1 S. 1 KSchG für Betriebe und Verwaltungen des privaten und des öffentlichen Rechtes, für Besatzungen von Seeschiffen, Binnenschiffen und Luftfahrzeugen mit den in § 24 Abs. 2–5 KSchG normierten Besonderheiten (vgl. Rdn 8). Die Berufung auf den Allgemeinen Kündigungsschutz, also darauf, die Kündigung oder die Änderung der Arbeitsbedingungen sei sozial ungerechtfertigt, setzt voraus, dass der Arbeitnehmer in einem Betrieb oder einer Verwaltung mit einer in § 23 Abs. 1 S. 2 und S. 3 KSchG festgelegten Mindestgröße beschäftigt ist.
a) Beschäftigung in einem Betrieb oder einer Verwaltung
Rz. 39
Maßgebend für das Bestehen des Kündigungsschutzes ist die Anzahl der Arbeitnehmer des Betriebs. Der Betriebsbegriff wird im KSchG nicht definiert. Als Betrieb wird gemeinhin die organisatorische Einheit verstanden, innerhalb derer der Arbeitgeber mit seinen Mitarbeitern durch Einsatz von sächlichen und immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung von Eigenbedarf erschöpfen. Da in einem Betrieb mehrere Zwecke verfolgt werden können, ist in erster Linie auf die Einheit der Organisation abzustellen. Erforderlich ist ein Leitungsapparat, der insb. wesentliche Entscheidungen in personellen und sozialen Angelegenheiten selbstständig trifft (BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 151/00, NZA 2001, 831). Die einen Betrieb i.S.d. § 23 Abs. 1 KSchG konstituierende Leitungsmacht wird dadurch bestimmt, dass der Kern der Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten von derselben institutionalisierten Leitung im Wesentlichen selbstständig ausgeübt wird. Entscheidend ist, wo schwerpunktmäßig über Arbeitsbedingungen und Organisationsfragen entschieden wird und in welcher Weise Einstellungen, Entlassungen und Versetzungen vorgenommen werden (BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 427/16, NZA 2017, 859–862).
Rz. 40
Betrieb i.S.d. § 23 KSchG ist nicht der Konzern oder das Unternehmen. Das Unternehmen ist die organisatorische Einheit, die aus einem oder mehreren Betrieben bestehen kann und die durch einen gemeinsamen wirtschaftlichen oder ideelle...