Peter Houben, Dr. Stephan Karlsfeld
1. Voraussetzungen und Rechtsfolgen
Rz. 126
Für einen Arbeitnehmer, auf dessen Arbeitsverhältnis der allgemeine Kündigungsschutz anwendbar ist, der sich also darauf berufen kann, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt und der in einem Betrieb beschäftigt ist, in dem ein Betriebsrat besteht, kann sich ein Weiterbeschäftigungsanspruch auf betriebsverfassungsrechtlicher Grundlage ergeben. Liegen diese "Rahmenbedingungen" vor, kommt es für die Realisierung des betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruchs darauf an, ob die in § 102 Abs. 5 BetrVG festgelegten Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind:
Nur eine ordentliche Kündigung des Arbeitgebers kann zur betriebsverfassungsrechtlich begründeten Weiterbeschäftigung führen.
Der Betriebsrat muss der Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen haben.
Der dem persönlichen und sachlichen Geltungsbereich des KSchG unterliegende Arbeitnehmer muss die Kündigungsschutzklage erhoben und Weiterbeschäftigung verlangt haben.
Rz. 127
Die Durchsetzbarkeit des betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruches hängt ganz wesentlich von der "richtigen" Mitwirkung des Betriebsrates ab. Die Praxis zeigt, dass es offenbar Schwierigkeiten bereitet, einen ordnungsgemäßen Widerspruch zu formulieren, sodass nicht selten aus diesem Grund der geltend gemachte betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch ins Leere geht.
Rz. 128
Der Widerspruch ist ordnungsgemäß, wenn er schriftlich begründet ausführt, aus welchen der in § 102 Abs. 3 BetrVG abschließend aufgezählten Gründen die vom Arbeitgeber beabsichtigte Kündigung vermeidbar erscheint. Die gesetzlich vorgegebenen Widerspruchsgründe sind:
(1) |
Der Arbeitgeber hat bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt. |
(2) |
Die Kündigung verstößt gegen eine Richtlinie nach § 95 BetrVG. |
(3) |
Der zu kündigende Arbeitnehmer kann an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden. |
(4) |
Die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers ist nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich. |
(5) |
Eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen ist möglich und der Arbeitnehmer hat sein Einverständnis hiermit erklärt. |
Rz. 129
Der sich auf einen oder mehrere dieser Gründe beziehende Widerspruch des Betriebsrats muss zwar nicht im prozessualen Sinne schlüssig begründet sein. Der Betriebsrat muss aber eine Subsumtion vornehmen und zumindest einen Sachverhalt vortragen, der es als möglich erscheinen lässt, dass einer der gesetzlich umschriebenen Widerspruchsgründe vorliegt. Keinesfalls darf sich der Betriebsrat damit begnügen, pauschal auf die gesetzlichen Gründe zu verweisen. Ist er z.B. der Meinung, der Arbeitgeber habe mit dem zur Kündigung vorgesehenen Arbeitnehmer eine falsche soziale Auswahl getroffen, muss er "Vergleichsdaten" anderer Arbeitnehmer oder zumindest eines anderen Arbeitnehmers benennen, damit der Arbeitgeber überhaupt in die Lage versetzt wird, die mögliche Stichhaltigkeit des Widerspruches zu überprüfen. Unzureichend, d.h. den betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch nicht auslösend, wäre es, wenn der Betriebsrat lediglich mit der Begründung widerspricht, soziale Gesichtspunkte seien bei der Auswahl des zur Kündigung vorgesehenen Arbeitnehmers nicht ausreichend beachtet. Macht der Betriebsrat mit seinem Widerspruch geltend, der Arbeitgeber habe zu Unrecht Arbeitnehmer nicht in die soziale Auswahl einbezogen, müssen diese Arbeitnehmer vom Betriebsrat entweder konkret benannt oder anhand abstrakter Merkmale bestimmbar sein (BAG v. 9.7.2003 – 5 AZR 305/02, NZA 2003, 1191 = DB 2003, 2233). Gleichermaßen unzureichend wäre ein Widerspruch, mit dem der Betriebsrat – bezogen auf § 102 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG – begründet, der Arbeitnehmer könne an seinem bisherigen Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden (BAG v. 12.9.1985 – 2 AZR 324/84, NZA 1986, 424 = DB 1986, 752).
Rz. 130
Fristgerecht ist der Widerspruch, wenn er innerhalb von einer Woche nach Einleitung des Anhörungsverfahrens dem Arbeitgeber zugeht, § 102 Abs. 3 S. 1 BetrVG i.V.m. § 102 Abs. 2 S. 1 BetrVG. Er muss auf einem Beschl. des Betriebsrats beruhen und vom Vorsitzenden unterzeichnet sein.
Rz. 131
Sind alle Voraussetzungen erfüllt, muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreites bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Anders als bei dem durch die Rspr. anerkannten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch (s.o. Rdn 111 ff.) erfolgt die Weiterbeschäftigung nach § 102 Abs. 5 BetrVG demnach bereits unmittelbar nach Ablauf der Kündigungsfrist. Grundlage ist die gesetzlich "verfügte" Fortsetzung des gekündigten Arbeitsverhältnisses, auch wenn sich später herausstellt, dass die ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis rechtswirksam aufgelöst hat. Damit ist der betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruc...