Rz. 48
Der BGH fasst die Voraussetzungen für die analoge Anwendung des § 89b HGB wie folgt zusammen: Der Vertragshändler muss so in die Absatzorganisation des Unternehmers eingegliedert sein, dass er wirtschaftlich in erheblichem Umfang einem Handelsvertreter vergleichbare Aufgaben zu erfüllen hat, und eine vertragliche Verpflichtung haben, dem Unternehmer seine Kundendaten zu übermitteln, so dass dieser sich die Vorteile des Kundenstamms bei Vertragsbeendigung sofort und ohne Weiteres nutzbar machen kann. Entscheidend ist jeweils das Gesamtbild der vertraglichen Beziehungen, wobei es auf die dem Vertragshändler auferlegten Pflichten ankommt. Für eine Integration des Vertragshändlers in die Absatzorganisation des Unternehmers sprechen u.a. die Einräumung eines Alleinvertriebsrechts, ein Wettbewerbsverbot des Vertragshändlers, die zielbewusste Verkaufswerbung nach den Richtlinien des Unternehmens, Schulung des Verkaufspersonals, Mindestabnahmepflichten, Vorhaltung eines Waren- und Ersatzteillagers sowie die Pflicht zur Erbringung von Kundendienstleistungen sowie Weisungs-, Kontroll- und Überwachungsbefugnisse des Unternehmers und die Pflicht zur Befolgung von Vorgaben für die Einrichtung der Geschäftsräume des Vertragshändlers. Weitere Voraussetzung ist die Beendigung des Vertragshändlervertrages, wobei nicht jede Beendigung zur Ausgleichspflicht führt (siehe auch § 20 Rdn 55 ff.). Dagegen spricht, wenn der Vertragshändler nicht lediglich die vom Unternehmer erworbenen Produkte an seine Kunden weiterverkauft, sondern darüber hinaus auch die Produkte nach eigenen Bedürfnissen verändert und sodann unter eigener Marke vertreibt.
Rz. 49
Voraussetzung für die Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs ist, dass der Hersteller sich den Kundenstamm des Vertragshändlers ohne Weiteres nutzbar machen kann. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Verpflichtung zur Überlassung des Kundenstamms erst im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung oder schon während der Vertragszeit durch laufende Unterrichtung des Herstellers über Geschäftsabschlüsse und Kundenbeziehungen zu erfüllen ist. Bei der Überlassung des Kundenstamms hat der Vertragshändler die datenschutzrechtlichen Vorgaben der DSGVO einzuhalten.
Voraussetzung ist allein, dass der Hersteller bei Beendigung des Vertrags in die Lage versetzt wird, den Kundenstamm des Händlers sofort und ohne Weiteres für sich nutzbar zu machen. Eine bloß faktische Kontinuität des Kundenstamms rechtfertigt eine entsprechende Anwendung des § 89b HGB im Vertragshändlerverhältnis nicht. Die Pflicht zur Überlassung kann auch konkludent vereinbart werden; unerheblich ist, ob der Unternehmer die Kundendaten tatsächlich nutzt. Eine Überlassung der Kundendaten wurde bisher z.B. bei Übersendung von Abrechnungsunterlagen, bei Übergabe von Kundenkarteien und Verkaufsberichten, von Meldekarten, Zulassungen von Kfz oder Überlassung von Kundendaten zu Marketingzwecken selbst dann angenommen, wenn sich der Hersteller bei Vertragsende verpflichtet, die während des Vertrages erhaltenen Kundendaten zu löschen. Erforderlich ist allerdings nicht eine lückenlose Datenübermittlung. Es reicht aus, dass der Hersteller die rechtliche Möglichkeit hat, die Daten zu verlangen. Eine Überlassung liegt dagegen nicht vor, wenn dem Hersteller lediglich die Reklamationen oder Kundendaten im Rahmen der Finanzierung der Vertragsware zugänglich gemacht werden, wenn keine Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstamms an das Unternehmen besteht – auch dann nicht, wenn der Handelsvertreter dem Unternehmen die Großkunden bekannt gibt, weil dieses hiervon die Einräumung erhöhter Rabatte für deren Belieferung abhängig macht, oder in dem Fall, dass sich ein Automobilimporteur über ein Marketingunternehmen die Kundenadressen auch für eigene Zwecke nutzbar macht, aber sich zugleich im Händlervertrag zur Löschung aller Kundendaten verpflichtet hatte. Eine Erklärung des Herstellers gegenüber dem Vertragshändler, bei dessen Vertragsende auf weitere Nutzung des Kundenstammes zu verzichten, ist daher unerheblich. Deshalb ist es zur Vermeidung von Ausgleichsansprüchen ratsam, im Vertrag Klauseln hinsichtlich der Überlassung von Kundendaten zu vermeiden.
Rz. 50
Da der Ausgleich im Zeitpunkt der Beendigung des Vertragsverhältnisses zu berechnen ist, muss eine Prognose über die voraussichtliche Entwicklung der Geschäftsbeziehung angestellt werden, um zu ermitteln, ob die Vertragsbeendigung zu erheblichen Vorteilen des Herstellers führt. Hierfür sind zwei Faktoren entscheidend: die Abwanderungsquote sowie der Zeitraum, über den nach Vertragsbeendigung der Hersteller mit vom Vertragshändler geworbenen Kunden in Geschäftsverbindung stehen wird.
Schließlich muss die Zahlung des Ausgleiches der Billigkeit entsprechen. In diesem Zusammenhang ist die Sogwirkung der Marke zu berücksichtigten. Je stärker die Sogwirkung einer Marke ist, desto geringer...