Rz. 40

Wegen der analogen Anwendung des § 89a HGB ist die fristlose Kündigung des Vertrages aus wichtigem Grund generell zulässig,[107] wenn aufgrund objektiver Tatsachen dem Kündigenden die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar ist. Es sind alle Umstände bei der Bewertung zu berücksichtigen, wobei ein Verschulden nicht erforderlich ist.[108] Das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist immer im Zeitpunkt der Kündigungserklärung zu beurteilen. Umstände, die bereits im Zeitpunkt der Kündigungserklärung vorlagen, können nachgeschoben werden. Umstände, die erst nach Ausspruch der Kündigung entstanden sind, können nur nachgeschoben werden, wenn diese mit den ursprünglich aufgeführten Gründen in einem inneren Zusammenhang stehen.[109]

 

Rz. 41

Die Festschreibung bestimmter Kündigungsgründe als wichtige Gründe wird an § 307 BGB gemessen.[110] Wegen der existenzbedrohenden Bedeutung der außerordentlichen Kündigung – insbesondere für den Vertragshändler – soll eine vorherige Abmahnung erforderlich sein.[111] Die Kündigung muss innerhalb einer angemessenen Frist nach Kenntniserlangung von den kündigungserheblichen Tatsachen erfolgen. Für die Angemessenheit der Frist gilt zwar § 626 Abs. 2 BGB nicht. Es besteht Uneinigkeit, welcher Zeitraum noch angemessen ist.[112]

 

Rz. 42

Ist die außerordentliche Kündigung unwirksam, so besteht ein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 ff. BGB oder § 89a Abs. 2 HGB analog.[113] Erforderlich ist Verschulden seitens des Gekündigten bzw. seines Erfüllungsgehilfen. Der Höhe nach richtet sich der Schadensersatzanspruch auf Ersatz der dem Vertragshändler aufgrund der Einstellung der Belieferung und Betreuung durch den Hersteller entgangenen Deckungsbeträge, und zwar unter Berücksichtigung der Eigenverkäufe der Vorjahre und des tatsächlichen Absatzes im – ehemaligen – Vertragsgebiet während des Zeitraums der rechtswidrigen Nichtbelieferung nach §§ 249 ff. BGB. Wegen der existenzbedrohenden Situation kann der Vertragshändler seinen Anspruch im Rahmen eines vorläufigen Rechtsschutzes im Wege der Leistungsverfügung geltend machen.[114] Im Gesetz nicht geregelt ist der Schadensersatzanspruch des ungerechtfertigt Gekündigten, der sich jedoch ebenfalls an §§ 280 ff. BGB oder § 89a Abs. 2 HGB analog richtet.

[107] BGH v. 29.6.2011 – VIII ZR 212/08, NJW 2011, 3361 ff.; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Kübler, Rn 630 ff.: Auflistung verschiedener Kündigungsgründe; Westphal, Rn 606 ff.; Emde, BB 1996, 2260: zur betriebsbedingten Kündigung; Niebling, MDR 1998, 1332; zur Umdeutung einer außerordentlichen in eine ordentliche Kündigung: OLG Saarbrücken NJW-RR 1998, 1191.
[108] Westphal, Rn 606 ff.; BGH v. 13.7.2004 – KZR 10/03, WRP 2004, 1378.
[109] Westphal, Rn 595 ff.
[110] So z.B. personelle Veränderungen im Vertragshändlerunternehmen, BGH NJW 1985, 623, 624 f.; Tod des Eigentümers oder Geschäftsführers, zulässig dagegen nicht die Veräußerung, Übertragung oder Abtretung des Vertrages oder einzelner Bestandteile, BGH NJW 1985, 623, 629; streitig bei Aufnahme eines Zweitfabrikats seitens des Händlers während der Kündigungsfrist, vgl. BGH NJW 1992, 429, 431; OLG Köln WiB 1995, 678 f.; verbotswidrige Konkurrenztätigkeit: BGH v. 29.6.2011 – VIII ZR 212/08, NJW 2011, 3361; herstellerseitige Kündigung: Abwerben von Angestellten: BGH DB 1977, 1047 (für den Handelsvertreter); Westphal, Rn 607; Beleidigungen: OLG Stuttgart BB 1969, 956; BGH NJW-RR 1993, 741; Verletzung der Berichtspflicht: BGH BB 1988, 12 (für den Handelsvertreter); OLG Saarbrücken NJW-RR 1998, 1191; OLG Saarbrücken NJW-RR 1999, 1713; BGH KZR 10/03, WRP 2004, 1378: Nichterreichen der Absatzziele OLG Koblenz v. 22.4.2010 – 2 U 352/09, IHR 2010, 255–258; Zahlungsverzug nach Abmahnung: OLG Frankfurt ZVertriebsR 2013, 42; Westphal, Rn 601; Berufsunfähigkeit: Küstner/Thume, Bd. 3, Rn 1422; Betriebseinstellung des Herstellerbetriebes: Küstner/Thume, Bd. 3, Rn 1351 ff., 1382; Insolvenz des Vertragshändlers: BGH BB 1995, 1937 (für den Handelsvertreter); Küstner/Thume, Bd. 3, Rn 1422; Nichteinhaltung der Mindestabnahmeverpflichtung: Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Kübler, Rn 643; Nichtabnahme des erforderlichen zeitgemäßen Standardwerkzeugs: LG Düsseldorf v. 17.7.2009 – 14c O 95/09; Umsatzrückgang: BGH DB 1982, 1269 (für den Handelsvertreter); OLG Köln NJW-RR 1997, 101; händlerseitige Kündigung – willkürliche Ablehnung von Bestellungen: BGH BB 1972, 193; Abwerben von Beauftragten des Vertragshändlers: BGH DB 1964, 1022; Verletzung des Alleinvertriebsrechts: BGH BB 1993, 2399; BGH BB 1967, 94; einseitige Vertragsänderung: Martinek/Semler/Flohr/Manderla, § 25, Rn 54; Insolvenzantrag: Westphal, Rn 629; Schlechtlieferung: Westphal, Rn 630; Überlassung von Unterlagen: Westphal, Rn 631.
[111] Vgl. so Genzow, Rn 126; Schultze/Wauschkuhn/Spenner/Dau/Kübler, Rn 645–647; die vorherige Abmahnung erscheint jedoch in den Fällen nicht sachgemäß, wenn die außerordentliche Kündigung wegen Missbrauchs des Vertrauens des Vertragspartners erfo...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge