Dr. Andreas Geiger, Dr. Wolfgang Würfel
I. Typischer Sachverhalt
Rz. 49
Die erste Sachverhaltskonstellation, die dem verwaltungsprozessualen Eilverfahren zugrunde liegt, besteht darin, dass die Verwaltung Maßnahmen ergriffen hat, die gegenüber dem davon Betroffenen sofortige Beachtung verlangen.
Beispiele:
Die Polizei gibt dem Bürger A auf, den Ort einer aufgelösten Versammlung zu verlassen. Bürger B wurde eine wegen § 212a BauGB vollziehbare Baugenehmigung erteilt, gegen die sich der Nachbar C wehren möchte.
Die zweite Sachverhaltskonstellation umfasst all jene Fälle, in denen der Bürger bei der Behörde eine Leistung oder sonstige Handlung begehrt, die Behörde den Antrag aber ablehnt.
Beispiele:
A beantragt die Erteilung einer Baugenehmigung; der Antrag wird von der Behörde abgelehnt. Der Antrag der Partei X auf Benutzung der Stadthalle der Stadt S zur Abhaltung einer kurz bevorstehenden Kundgebung wird von der Stadt abgelehnt.
Für beide Sachverhaltskonstellationen bringt die lange Dauer gerichtlicher Hauptsacheverfahren die Notwendigkeit mit sich, dem Betroffenen im Eilverfahren vorläufigen Rechtsschutz bis zur rechtskräftigen Klärung der Angelegenheit zu gewähren.
II. Rechtliche Grundlagen
Rz. 50
Die in der VwGO zum vorläufigen Rechtsschutz enthaltenen Vorschriften der §§ 80, 80a, 80b, 123 und 47 Abs. 6 VwGO dienen der in Art. 19 Abs. 4 GG mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtsweg- und Rechtsschutzgarantie. Diese umfasst auch die Garantie effektiven Rechtsschutzes und damit den Schutz gegen vorläufige Rechtsnachteile.
Die VwGO hält – abgesehen vom vorläufigen Rechtsschutz im Normenkontrollverfahren (§ 47 Abs. 6 VwGO) – zwei Verfahrensarten bereit, die an die in der VwGO angelegte Unterscheidung von Anfechtungsklage und Verpflichtungsklage anknüpfen. Handelt es sich beim Hauptsacheverfahren um eine Anfechtungsklage, kommt als Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes das Verfahren nach §§ 80, 80a VwGO in Betracht. Bei allen übrigen Verfahren ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO der statthafte Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO).
Rz. 51
Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes führt das Gericht eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage durch. Dies ergibt sich aus der Eilbedürftigkeit, welche eine vollständige Prüfung einschließlich Beweiserhebungen und mündlicher Verhandlung regelmäßig nicht zulässt oder gebietet. Würde die sofortige Vollziehung eines VA aber zu einer schwer wiegenden und nicht mehr rückgängig zu machenden Beeinträchtigung des Bürgers führen, kann dies wegen Art. 19 Abs. 4 GG jedoch zur Verpflichtung des Gerichts führen, eine vollständige, über eine bloß summarische Prüfung hinausgehende Prüfung – einschließlich Beweisaufnahme und mündlicher Verhandlung – vorzunehmen.
1. Das Verfahren nach §§ 80, 80a VwGO
Rz. 52
Belastende VAe werden mit Bekanntgabe an den Adressaten wirksam und nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist (§§ 58, 74 VwGO, 79 VwVfG) unanfechtbar, unabhängig davon, ob der VA rechtmäßig oder rechtswidrig ist (Ausnahme: nichtige VAe, §§ 43 Abs. 3 i.V.m. 44 VwVfG). § 80 Abs. 1 VwGO gibt dem Betroffenen jedoch die Möglichkeit, sich der Befolgungspflicht durch Erhebung von Widerspruch (§§ 68 ff. VwGO) bzw. Klage (vgl. auch § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO: Entbehrlichkeit des Vorverfahrens) vorläufig zu entziehen. Danach haben Klage und Widerspruch grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Bestreitet die Behörde die aufschiebende Wirkung, ist analog § 80 Abs. 5 VwGO der Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs möglich.
2. Anordnung/Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
Rz. 53
In den Fällen, in denen Widerspruch bzw. Klage keinen Suspensiveffekt haben (§ 80 Abs. 2 Nr. 1–3 VwGO) oder diesen wegen Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Behörde verlieren (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO), gibt die VwGO dem Betroffenen im ersten Fall die Möglichkeit, beim für die Hauptsache zuständigen VG Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 S. 1 Hs. 1 VwGO zu stellen. Hat die Behörde die sofortige Vollziehung angeordnet, ist Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ebenfalls nach § 80 Abs. 5 S. 1 Hs. 2 VwGO beim Gericht zu stellen.
3. Aussetzung/Aufhebung der Vollziehung
Rz. 54
Neben dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO beim VG kann zusätzlich auch bei der Ausgangs- oder bei der Widerspruchsbehörde ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des VA gestellt werden (§ 80 Abs. 4 VwGO). Lediglich in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (dh öffentliche Abgaben und Kosten betreffende VAe) ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO grundsätzlich erst zulässig, nachde...