Dr. Andreas Geiger, Dr. Wolfgang Würfel
A. Widerspruchsverfahren
I. Typischer Sachverhalt
Rz. 1
Ausgangspunkt eines jeden Widerspruchs ist der Erlass eines Verwaltungsakts (im Folgenden: VA) durch eine Behörde. Gegen diesen richtet sich der Widerspruchsführer. Hierbei kann sein Ziel entweder die Aufhebung bzw. Teilaufhebung oder Änderung des ihn belastenden VA sein oder der Erlass eines VA, den die Behörde verweigert. Die hierbei möglichen Konstellationen sind dabei so umfangreich wie die jeweiligen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen zum Erlass von VAen.
II. Rechtliche Grundlagen
1. Vorverfahren
Rz. 2
Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des VA in einem Vorverfahren nachzuprüfen (§ 68 Abs. 1 S. 1 VwGO). Dies gilt ebenfalls vor Erhebung der Verpflichtungsklage, wenn der Antrag auf Vornahme des VA abgelehnt worden ist (§ 68 Abs. 2 VwGO). Hieraus ergibt sich, dass das Widerspruchsverfahren nicht nur Prozessvoraussetzung für die Erhebung der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist, sondern gleichzeitig auch der Eigenkontrolle durch die Verwaltung dient.
Keines Widerspruchsverfahrens bedarf es grundsätzlich nur in den vom Gesetz hierfür besonders vorgesehenen Fällen (§ 68 Abs. 1 S. 2 VwGO). Das 6. VwGOÄndG hat die Möglichkeit eröffnet, das Widerspruchsverfahren durch Gesetz für ein ganzes Rechtsgebiet auszuschließen. Im Zuge der Entbürokratisierung haben einige Länder hiervon Gebrauch gemacht und Regelungen in den Ausführungsgesetzen zur VwGO getroffen, die die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens nur noch in Ausnahmefällen vorsehen (siehe z.B. Art. 15 BayAGVwGO; § 80 NJG, § 16a HessAGVwGO). Sonstige, nicht ausdrücklich geregelte Ausnahmen, werden von der Rechtsprechung nur eingeschränkt anerkannt. Ein Widerspruchsverfahren ist insbesondere nicht notwendig, wenn nach § 75 VwGO zulässigerweise Untätigkeitsklage erhoben wurde. Dies gilt auch dann, wenn die Behörde nach Klageerhebung noch über den Antrag durch VA entscheidet. Dann ist unter Einbeziehung des ergangenen VA und ggf. des Widerspruchsbescheids lediglich der Klageantrag an die neue Prozesslage anzupassen.
Vor Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Klage gegen einen in einem förmlichen Verwaltungsverfahren nach §§ 63 ff. VwVfG erlassenen VA oder gegen Planfeststellungsbeschlüsse/Plangenehmigungen nach § 74 VwVfG bedarf es nach § 74 Abs. 1 S. 2 VwVfG i.V.m. § 70 VwVfG bzw. nach § 74 Abs. 6 S. 3 VwVfG keiner Nachprüfung in einem Vorverfahren.
2. Widerspruchsfrist
Rz. 3
Der Widerspruch ist innerhalb Monatsfrist nach Bekanntgabe des VA schriftlich oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben, die den VA erlassen hat. Die Widerspruchsfrist wird auch durch Einlegung bei der Widerspruchsbehörde gewahrt (§ 70 Abs. 1 S. 2 VwGO). Zum Teil kann es zweckmäßig sein, den Widerspruch sowohl bei der Ausgangsbehörde als auch nachrichtlich bei der Widerspruchsbehörde gleichzeitig einzulegen, um dadurch die Bearbeitungszeit abzukürzen.
Voraussetzung für den Lauf der Monatsfrist ist nach § 70 Abs. 2 i.V.m. § 58 VwGO eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung durch die den VA erlassende Behörde. Wird einem Dritten der VA nicht bekannt gegeben (vgl. § 41 VwVfG), kann dessen Widerspruch nicht durch Fristablauf, sondern nur durch Verwirkung ausgeschlossen werden; in aller Regel beginnt die Verwirkungszeitspanne, wenn der Dritte sichere Kenntnis vom Erlass des VA erlangt hat oder hätte erlangen müssen.
3. Widerspruchsbegründung
Rz. 4
Eine Begründung des Widerspruchs ist zwar rechtlich nicht gefordert, gleichwohl ist eine solche dringend anzuraten, da trotz Amtsermittlungspflicht nach § 24 VwVfG den Widerspruchsführer grds. eine Mitwirkungspflicht trifft.
4. Aufschiebende Wirkung
Rz. 5
Der Widerspruch hat grundsätzlich aufschiebende Wirkung, soweit er nicht offensichtlich unzulässig ist (§§ 80 Abs. 1, 80a VwGO). Die aufschiebende Wirkung entfällt hingegen bei den in § 80 Abs. 2 VwGO genannten Ausnahmefällen. Von den gesetzlich angeordneten Ausnahmen nach Abs. 2 Nr. 3 ist insbesondere § 212a BauGB (Drittwiderspruch gegen bauaufsichtliche Zulassung) zu nennen. Obwohl von Behörden immer wieder behauptet, unterfallen die Gebühren für den Erlass eines VA nicht § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, sondern teilen die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Kosten auslösenden VA (Ausnahme: isolierter Widerspruch nur gegen Kostenentscheidung).
Besteht danach keine aufschiebende Wirkung des Widerspruchs, kann sowohl nach §§ 80a Abs. 1 Nr. 2, 80 Abs. 4 VwGO bei der den VA erlassenden Behörde oder bei der Widerspruchsbehörde oder nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO beim VG die Aussetzung der Vollziehung bzw. die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beantragt werden (näher dazu siehe Rdn 53 ff.). Dies gilt auch für einen bereits im Ausgangs-VA angeordneten Sofortvollzug nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. Gegen diesen ist parallel zum Widerspruch gegen die übrige Regelung des VA ein Eilantr...