Rz. 99
Es war lange umstritten, ob auch die Beteiligungsrechte des Betriebsrates auf Anhörung, Beratung und Mitbestimmung Ansprüche begründen, die Gegenstand einer einstweiligen Verfügung auf Unterlassung oder Aufhebung der Maßnahme seitens des Arbeitgebers sein können. In einer Entscheidung v. 3.5.1994 hat das BAG (1 ABR 24/93; DB 1994, 2450 = NZA 1995, 40) unter Aufgabe seiner bisherigen Rspr. dem Betriebsrat bei Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte aus § 87 BetrVG einen Anspruch auf Unterlassung der mitbestimmungspflichtigen Maßnahme zugebilligt. Dieser Anspruch setzt keine grobe Pflichtverletzung des Arbeitgebers i.S.d. § 23 Abs. 3 BetrVG voraus. Zuvor hatte das BAG für den Bereich des erzwingbaren Mitbestimmungsrechtes nach § 87 BetrVG einen Unterlassungsanspruch nur bejaht, wenn der Arbeitgeber grob gegen seine Pflichten aus dem BetrVG verstoße. Die generelle Verneinung eines Unterlassungsanspruches neben dem Sondertatbestand des § 23 Abs. 3 BetrVG wird jedoch nun nicht mehr aufrechterhalten.
Rz. 100
Das BAG stellt in der vorgenannten Entscheidung fest, dass § 23 Abs. 3 BetrVG keine abschließende Regelung mit Ausschlusswirkung ist, vielmehr müsse für jeden Mitbestimmungstatbestand besonders geprüft werden, ob dieser dem Betriebsrat einen Unterlassungsanspruch gebe oder nicht. Der Betriebsrat hat bei Verstößen gegen sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 BetrVG einen Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber. § 87 BetrVG regelt die erzwingbare Mitbestimmung, Maßnahmen in diesem Bereich soll der Arbeitgeber nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers nur mit Zustimmung des Betriebsrates durchführen können. Verstößt der Arbeitgeber hiergegen, entsteht eine betriebsverfassungswidrige Lage. Dem lasse sich nicht entgegenhalten, § 87 Abs. 2 BetrVG sehe eine andere Konfliktlösung vor; danach entscheide bei fehlender Einigung die Einigungsstelle verbindlich. Diese Konfliktregelung betreffe nicht den betriebsverfassungswidrigen Zustand, der durch das Verhalten des Arbeitgebers bis zur Entscheidung der Einigungsstelle entstehe. Der Betriebsrat könne zwar die Einigungsstelle anrufen, aber dadurch allein Rechtsnachteile nicht abwenden. Bei kurzfristigen Maßnahmen lasse sich eine Entscheidung der Einigungsstelle oft nicht rechtzeitig herbeiführen. Auch bei längerfristigen Maßnahmen werden durch den betriebsverfassungsrechtlichen Vollzug häufig Fakten gesetzt, die nachträglich dann nur schwer zu beseitigen seien. Der Betriebsrat selbst müsse daher eine wirksame Möglichkeit haben, aktiv für die Einhaltung seines Mitbestimmungsrechtes Sorge zu tragen.
Rz. 101
I.R.d. Verfügungsgrundes ist die Interessenabwägung darauf zu erstrecken, ob für die Zeit bis zum Inkrafttreten einer mitbestimmten Regelung die beantragte Anordnung zum Schutz des betroffenen Arbeitnehmers erforderlich ist (LAG Düsseldorf v. 16.5.1990 – 12 TaBV 9/90, NZA 1991, 29). Dies ist im Rahmen von sozialen Angelegenheiten i.S.d. § 87 BetrVG eher die Ausnahme, grundsätzlich ist der im Rahmen eines Unterlassungsbegehrens aufgeworfene Streit um den Umfang eines Mitbestimmungsrechts im Hauptsacheverfahren zu klären (LAG Hamm v. 6.9.2013, 13 TaBVGa 8/13, juris). So setzt beispielsweise eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung der Durchführung von Dienstplänen ein eindeutig überwiegendes Interesse des Betriebsrates an der Unterlassung voraus (LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 10.11.2015 – 2 TaBVGa 5/15, juris; LAG Köln v. 31.10.1996 – 9 TaBV 69/96, ARST 1997, 91). Sofern der Arbeitgeber einseitig von den Arbeitnehmern schon am ersten Krankheitstag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verlangt, kann der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht im Wege einer einstweiligen Verfügung durchsetzen (LAG Köln v. 21.8.2013 – 11 Ta 87/13, juris).