1. Kraftfahrzeug
Rz. 6
Im Gegensatz zu §§ 316 ff StGB genügt hier nicht das Führen eines Fahrzeugs; die strafrechtliche Entziehung der Fahrerlaubnis ist vielmehr nur möglich, wenn der Täter ein Kraftfahrzeug geführt hat. Deshalb macht sich der fahruntüchtige Radfahrer zwar nach § 316 StGB strafbar, die Fahrerlaubnis kann ihm jedoch nicht auf der Grundlage des § 69 StGB entzogen werden.
Beschlagnahme und vorläufige Entziehung stehen nebeneinander und haben identische Grundvoraussetzungen (BGHSt 22, 385), d.h. der endgültige Entzug muss höchstwahrscheinlich sein und es muss ein dringender Tatverdacht bestehen.
Rz. 7
Problematisch in diesem Zusammenhang sind Fahrräder mit elektrischem Hilfsantrieb (Pedelec bzw. E-Bike), die je nach Stärke des Hilfsantriebs als Kraftfahrzeuge oder Fahrräder einzustufen sind.
Auch wenn sie über eine Anfahr- und Schiebehilfe bis 6 km/h verfügen, sind sie Fahrrädern gleichzusetzen, solange der Antrieb über 25 km/h liegende Geschwindigkeiten nicht unterstützt (OLG Hamm DAR 2013, 712; OLG Hamm NZV 2014, 482). Zur rechtlichen Einordnung siehe § 27 Rdn 5, § 37 Rdn 30.
Dagegen sind Elektroroller ohne Weiteres Kraftfahrzeuge (AG Löbau NJW 2018, 530).
2. Endgültiger Entzug höchstwahrscheinlich
Rz. 8
Beschlagnahme und vorläufige Entziehung stehen nebeneinander und haben identische Grundvoraussetzungen (BGHSt 22, 385), d.h. es muss ein dringender Tatverdacht bestehen, ein für § 170 StPO ausreichender genügt. Darüber hinaus muss der endgültige Entzug höchstwahrscheinlich sein, deshalb muss im Zeitpunkt der Entscheidung eine hohe, fast an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass die Fahrerlaubnis im Urteil entzogen werden wird (OLG Düsseldorf DAR 1992, 187; BVerfG VRS 90, 1). Erforderlich ist, wie nach § 112 StPO für den Haftbefehl, ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit hierfür (LG Zweibrücken BA 2002, 287).
Es müssen deshalb zunächst einmal die Voraussetzungen des § 69 StGB erfüllt sein, d.h. der Beschuldigte muss anders als bei § 316 StGB ein Kraftfahrzeug geführt haben, weshalb eine mit dem Fahrrad begangene Trunkenheitsfahrt keine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigt (zur Einordnung von E-Bike, Pedelec und andererseits E-Roller, siehe § 37 Rdn 27). Entgegen der Auffassung des LG Kiel (DAR 2006, 699) kann auch im Falle einer Trunkenheitsfahrt mit einem Motorboot die Fahrerlaubnis nicht entzogen werden, denn die Definition eines Kraftfahrzeugs hat sich an § 1 Abs. 2 StVG zu orientieren (OLG Oldenburg NJW 1969, 199; BayObLG NZV 1993, 239).
Rz. 9
Wird dem Mandanten ein Regelfall des § 69 Abs. 2 StGB vorgeworfen und besteht ein dringender Tatverdacht, ist jede weitere Diskussion über die Berechtigung der Beschlagnahme bzw. vorläufigen Entziehung sinnlos, es sei denn, es läge ein extremer Ausnahmefall vor (siehe hierzu § 57 Rdn 17 ff.).
Rz. 10
Tipp
Bei der Beurteilung der Frage, ob eine endgültige Entziehung zu erwarten ist, sind alle Umstände des Einzelfalles mit zu berücksichtigen. Sind z.B. Angaben des Beschuldigten wegen Verstoßes gegen die Belehrungspflicht nicht verwertbar und sonstige Beweismittel nicht vorhanden, liegen dann keine dringenden Gründe für die Annahme vor, dem Beschuldigten werde die Fahrerlaubnis gem. § 69 StGB in der Hauptverhandlung entzogen, wenn die Verteidigung angekündigt hatte, der Verwertung der Angaben des Betroffenen bzw. der Vernehmung der Vernehmungsperson zu widersprechen (LG Koblenz zfs 2002, 406).
3. Dringender Tatverdacht
Rz. 11
Dringender Tatverdacht besteht, wenn die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der Beschuldigte Täter der ihm vorgeworfenen Straftat ist. Die Prüfung des hinreichenden Tatverdachts erfolgt aufgrund des gegenwärtigen Standes der Ermittlungen (BGH NStZ 1981, 94), der sich durchaus ändern kann. Im Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung muss der dringende Tatverdacht stets stärker als ein hinreichender sein. Er muss sich auf bestimmte Tatsachen stützen und nicht nur auf Vermutungen.
4. Verfassungsgemäß
Rz. 12
Die vorläufige Entziehung bzw. die Beschlagnahme der Fahrerlaubnis ist angesichts der Gefahren, die durch die Teilnahme ungeeigneter Kraftfahrer am Straßenverkehr drohen, verfassungsrechtlich unbedenklich. Die einem Beschuldigten in beruflicher und in privater Hinsicht entstehenden Nachteile müssen daher in Kauf genommen werden (BVerfG DAR 1998, 466; NJW 2005, 1767; LG Berlin VRS 133, Nr. 2), zumal das Prinzip der Verhältnismäßigkeit bereits bei der Feststellung geprüft ist, ob die Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 S. 1 StGB vorliegen (BGH NJW 2004, 3499).
Rz. 13
Tipp: Ausnahme
Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ist nur zulässig, wenn – und nur insoweit wie – eine Entziehung im Urteil zu erwarten ist. Ist also davon auszugehen, dass das Urteil eine Ausnahme von der Sperre zulassen wird (§ 69a Abs. 2 StGB), darf (und muss auf Antrag hin) bereits von der vorläufigen Entziehung eine Ausnahme gemacht werden (§ 111a Abs. 1 S. 2 StPO). Zu Ausnahmen von der Sperre (bzw. der vorläufigen Entziehung) siehe Kapitel 59 – Ausnahme von der Sperre (vgl. § 59 Rdn 1 ff.).