Dr. Olaf Riecke, Jan-Hendrik Schmidt
I. Typischer Sachverhalt
Rz. 24
Ein Wohnungseigentümer möchte auf seinem Balkon einen Glaswintergarten errichten und dazu im Voraus die Zustimmung der anderen Miteigentümer einholen. Er stellt sich vor, dass eine Beschlussfassung über seinen Antrag das geeignete Mittel ist und wendet sich an den Verwalter, damit dieser seinen Antrag auf die Tagesordnung der anstehenden Eigentümerversammlung setzt.
II. Rechtliche Grundlagen
1. Notwendigkeit der Einberufung
Rz. 25
Wegen der allseits deutlichen Sichtbarkeit und markanten körperlichen Gestalt könnte der Glaswintergarten eine bauliche Veränderung i.S.d. § 22 Abs. 1 WEG a.F. (vgl. jetzt § 20 WEG n.F.) darstellen, die der Zustimmung aller Wohnungseigentümer bedarf. Die Beschränkung der Zustimmungsbedürftigkeit nach §§ 22 Abs. 1 S. 2, 14 Nr. 1 WEG a.F. auf einzelne Miteigentümer wäre hier fern liegend, da alle von ihnen zumindest optisch benachteiligt erscheinen, was als Nachteil i.S.d. § 14 Nr. 1 WEG a.F. ausreicht. Dennoch bedeutet allseitige Zustimmung keineswegs einstimmiger Beschluss oder gar Vereinbarung. Sie konnte früher noch formfrei erklärt werden und wirkte auch ohne Grundbucheintragung gegenüber Sondernachfolgern. Gleichwohl wurde vermehrt eine Beschlussnotwendigkeit angenommen und es war zu Beweiszwecken vielfach ratsam, über eine bauliche Maßnahme Beschluss zu fassen, allein der notwendigen Planungssicherheit wegen. Da § 22 Abs. 1 WEG a.F. systematisch und inhaltlich zur Verwaltung des Gemeinschaftseigentums i.S.d. §§ 20 ff. WEG a.F. gehörte, bestand schon vor dem Inkrafttreten des WEMoG eine Beschlusskompetenz, d.h. ein (rechtswidriger) Mehrheitsbeschluss wird nach Ablauf der Anfechtungsfrist bestandskräftig und bindet alle Wohnungseigentümer. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei der beabsichtigten Baumaßnahme um eine Modernisierung gem. § 22 Abs. 2 WEG a.F. handelt. Nach dem mietrechtlichen Modernisierungsbegriff des § 555b BGB ist das zwar umstritten; allerdings ist der wohnungseigentumsrechtliche Modernisierungsbegriff großzügiger zu behandeln. Daher konnte die Maßnahme gem. § 22 Abs. 2 S. 1 WEG a.F. mit doppelt qualifizierter Mehrheit beschlossen werden. In beiden Fällen bedurfte es aber einer Befassung und Beschlussfassung durch die Eigentümerversammlung.
Seit 1.12.2020 ist zu unterscheiden zwischen den privilegierten baulichen Veränderungen i.S.d. § 20 Abs. 2 WEG n.F. (bauliche Veränderungen, die (1) dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen, (2) dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge, (3) dem Einbruchsschutz und (4) dem Anschluss an ein Telekommunikationsnetz mit sehr hoher Kapazität dienen) und anderen baulichen Maßnahmen.
Die doppelt-qualifizierte Mehrheit des § 22 Abs. 2 WEG a.F. wurde abgeschafft. Es gilt immer die einfache Mehrheit. § 21 Abs. 2 Nr. 1 WEG n.F. regelt eine neue doppelt-qualifizierte Mehrheit, die aber nichts mit der Beschlusskompetenz verbindet, sondern die allein für die Kostentragung Bedeutung hat, wenn es dort heißt: Vorbehaltlich des Absatzes 1 haben alle Wohnungseigentümer die Kosten einer baulichen Veränderung nach dem Verhältnis ihrer Anteile (§ 16 Abs. 1 S. 2) zu tragen, die mit mehr als zwei Dritteln der abgegebenen(!) Stimmen und der Hälfte aller Miteigentumsanteile beschlossen wurde, es sei denn, die bauliche Veränderung ist mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden. Ob eine Beeinträchtigung gem. § 20 Abs. 3 WEG vorliegt, richtet sich nach denselben Kriterien wie nach dem WEG a.F. § 20 Abs. 3 WEG knüpft in Wortlaut und Inhalt an den Begriff der Beeinträchtigung in § 14 Nr. 1 WEG a.F. an.
2. Einberufung der Eigentümerversammlung
a) Voraussetzungen der Einberufung
Rz. 26
Die Wohnungseigentümerversammlung bzw. die Wohnungseigentümer in ihrer Gesamtheit sind das Willensbildungsorgan der Wohnungseigentümergemeinschaft. Wohnungseigentümer ordnen ihre Angelegenheiten untereinander und im Verhältnis zu Dritten kollektiv durch Beschlussfassung (Gesamtakt) oder Vereinbarung (Kollektivvertrag). Beschlüsse sind das Regelungsinstrument vor allem der laufenden Verwaltungsgeschäfte, wie sich daran zeigt, dass die §§ 20 ff. WEG a.F. = §§ 18 ff. WEG n.F. viele Durchbrechungen des im WEG an sich geltenden Einstimmigkeitsprinzips vorsehen und insoweit der Mehrheitsmacht Befugnisse einräumen. Dementsprechend regelt das WEG in den §§ 23–25 WEG ein eigenes Beschlussrecht. Nach § 23 WEG sind Beschlüsse entweder in einer Versammlung (Abs. 1) oder außerhalb eine...