Dr. Olaf Riecke, Jan-Hendrik Schmidt
I. Typischer Sachverhalt
Rz. 73
Wohnungseigentümer V vermietet erstmals seine Wohnung im ersten Obergeschoss. Der Mieter M hält einen Hund und spielt gerne auf seinem Flügel. Hierdurch fühlt sich der Wohnungseigentümer W im Erdgeschoss innerhalb seines Sondereigentums gestört. Die Ruhezeiten im Mietvertrag decken sich nicht mit denen der Hausordnung der Gemeinschaft, weil V dem M einfach ein Standardformular zur Unterschrift vorgelegt hatte.
II. Ansprüche des Einzelnen und der Gemeinschaft
Rz. 74
Hier ist zu unterscheiden zwischen individuellen Ansprüchen des einzelnen Wohnungseigentümers und Ansprüchen der Gemeinschaft gegen Miteigentümer, Verwalter oder Dritte.
Anerkannt ist, dass Ansprüche gegen den Verwalter, die der Gemeinschaft zustehen, vom Einzelnen grundsätzlich nur mit Ermächtigungsbeschluss geltend gemacht werden dürfen. Ausnahmen werden nur selten anerkannt, z.B. bei drohender Verjährung. Es gilt grundsätzlich, dass die Untätigkeit der Gemeinschaft keine Alleingänge einzelner Wohnungseigentümer rechtfertigt.
Bei zweckbestimmungswidriger Nutzung durch einen Sondereigentümer oder dessen Mieter, Pächter bzw. sonstigen Nutzer bestehen jetzt Individualansprüche – wie im Ausgangssachverhalt – der übrigen Wohnungseigentümer auf Unterlassung bzw. Störungs- oder Folgenbeseitigung nur bezüglich der Beeinträchtigungen des jeweiligen Sondernutzungsrechts. Der einzelne Eigentümer darf also (seine) Ansprüche außergerichtlich und gerichtlich ohne ermächtigenden Beschluss der Miteigentümer geltend machen.
Die Einzelklage des Miteigentümers wegen Verletzung von Zweckbestimmungen und des gemeinschaftlichen Eigentums wurden durch das WEMoG abgeschafft. Das ergibt sich aus § 9a Abs. 2 WEG n.F. Alle Ansprüche aus dem gemeinschaftlichen Eigentum, namentlich also aus § 1004 BGB, sind als gemeinschaftsbezogen ausgestaltet. Deshalb können sie nur noch vom Verband geltend gemacht werden.
Die Eigentümerversammlung darf nicht mehr durch Mehrheitsbeschluss die Geltendmachung durch die Wohnungseigentümergemeinschaft in Prozessstandschaft an sich ziehen (gekorene Ausübungsbefugnis). Die sog. Vergemeinschaftung wurde durch das WEMoG abgeschafft.
Schadensersatzansprüche, die auf die Verletzung des gemeinschaftlichen Eigentums gestützt werden, sind im Interesse einer geordneten Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums einheitlich geltend zu machen; es bestand schon vor dem Inkrafttreten des WEMoG am 1.12.2020 – anders als bei Unterlassungsansprüchen – eine geborene Ausübungsbefugnis der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, und zwar auch für Wiederherstellungsansprüche gem. § 823 Abs. 1 i.V.m. § 249 Abs. 1 BGB. Daher ist eine Schadensersatzklage des einzelnen Eigentümers ohne ermächtigenden Beschluss wegen fehlender Prozessführungsbefugnis unzulässig.
Rz. 75
Der vermietende Sondereigentümer hat für Störungen durch seinen Mieter einzustehen. Als Anspruchsgrundlage bei Störungsbeseitigung ist § 1004 BGB heranzuziehen. Inzwischen ist anerkannt, dass dem Mieter in der Regel nicht mehr Rechte gegenüber der Eigentümergemeinschaft und dem einzelnen Wohnungseigentümer zustehen können als dem vermietenden Sondereigentümer selbst. Dies bedeutet, dass Einwendungen aus dem schuldrechtlichen Mietvertrag der Gemeinschaft oder anderen Wohnungseigentümern nicht entgegengesetzt werden können, d.h. es empfiehlt sich in der Praxis, nicht gegen den vermietenden Sondereigentümer vorzugehen, sondern – bei Solvenz – den Anspruch aus § 1004 BGB gegenüber dem Mieter geltend zu machen, der seinerseits – bei entsprechender mietvertraglicher Berechtigung – durch Streitverkündung gegenüber dem vermietenden Sondereigentümer seine Rechte (in der Regel Schadensersatz) sichern kann. Zu beachten ist bei der Anspruchserhebung gegenüber dem Sondereigentümer, dass dieser nicht zu konkreten vom Kläger ausgewählten Maßnahmen verpflichtet werden kann, sondern lediglich dazu, durch geeignete Maßnahmen (z.B. fristlose Kündigung oder Mietaufhebungsvertrag) die zweckbestimmungswidrige Nutzung seines Mieters zu beenden.