Dr. iur. Andrea Wassermeyer, Nicolai Lasaroff
1. Verfahren vor dem Integrationsamt
Rz. 54
Begehrt der Arbeitgeber bei einem Schwerbehinderten vor Ausspruch der Kündigung die Zustimmung des Integrationsamtes nach dem SGB IX oder vertritt der Rechtsanwalt des Arbeitnehmers diesen im Verfahren ggü. dem Integrationsamt, ist str., nach welchem Gegenstandswert diese Tätigkeit abzurechnen ist. Nach einer Entscheidung des VGH Hessen v. 23.12.1987 (AnwBl. 1988, 488) soll auch für diesen Fall die Regelung des § 42 Abs. 2 GKG – 1/4 Jahresbezug als Regelstreitwert gelten.
Rz. 55
A.A. ist jedoch das BVerwG. Danach ist in Verwaltungsstreitigkeiten der Auffangstreitwert zugrunde zu legen (BVerwG v. 14.7.1991, MDR 1993, 584). Dieser beträgt nach der Neufassung des GKG gem. § 52 Abs. 2 GKG nunmehr 5.000 EUR (und nicht wie vormals 4.000 EUR gem. § 13 Abs. 1 GKG a.F.). Die Festsetzung des Gegenstandswertes der anwaltlichen Tätigkeit im Zustimmungsverfahren zur Kündigung eines Schwerbehinderten auf 5.000 EUR entspricht billigem Ermessen (so OVG Schleswig-Holstein v. 11.2.2014 – 3 O 45/12).
Rz. 56
Diese Auffassung erscheint zutreffend, da es in dem Verfahren vor dem Integrationsamt "nur" um dessen Zustimmung, aber noch nicht um den Bestand des Arbeitsverhältnisses insgesamt geht.
Rz. 57
Gleichwohl sollte die "lokale" Rspr. beachtet werden. Das AG Bingen (v. 23.10.2007, AE 2008, 78) hat entschieden, dass Streitwert des Verfahrens vor dem Integrationsamt 1/4 Jahreseinkommen ist. Wird jedoch – was in der Praxis durchaus häufiger vorkommt – in dem Verfahren vor dem Integrationsamt, in dem der Arbeitgeber die Zustimmung zur fristlosen oder fristgerechten Kündigung beantragt, die Angelegenheit insgesamt erledigt (die Parteien einigen sich auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses), zahlen die Rechtsschutzversicherer die hierdurch angefallenen Gebühren (Nr. 2300 und Nr. 1000 VV RVG) nach der Streitwertberechnung gem. § 42 Abs. 2 GKG, somit auf der Basis von drei Bruttomonatsgehältern.
Rz. 58
Hinweis
Vgl. hierzu die vorstehenden Ausführungen zur Einigungsgebühr, Rdn 41 ff. Liegen die entsprechenden Voraussetzungen vor, kann ggf. auch vor dem Integrationsamt wieder ein Vergleich geschlossen werden, ohne dass eine Sperrzeit zulasten des Arbeitnehmers verhängt werden darf.
Richtet sich der Gegenstandswert für das Verfahren vor dem Integrationsamt nach § 52 Abs. 2 GKG, greift nachfolgendes Abrechnungsbeispiel:
Rz. 59
Abrechnungsbeispiel
Der Arbeitgeber des schwerbehinderten Mandanten möchte diesem kündigen und beantragt vor dem Integrationsamt die Zustimmung hierzu. Der Mandant beauftragt seinen Anwalt, in diesem Verfahren tätig zu werden. Die Zustimmung wird schließlich im Widerspruchsverfahren erteilt. Anschließend erhält der Mandant die Kündigung. Hiergegen wendet sich der Anwalt auftragsgemäß zunächst außergerichtlich und erhebt anschließend Kündigungsschutzklage (Monatsbruttogehalt: 2.000 EUR/Streitwert Kündigungsschutzklage: 6.000 EUR), über die sich die Parteien im Gütetermin vergleichen.
Abrechnung
Folgende Gebühren – ausgehend jeweils von einer Mittelgebühr – entstehen:
Verfahren vor dem Integrationsamt:
Außergerichtliche Tätigkeit (Wert: 5.000,00 EUR gem. § 52 Abs. 2 GKG)
1,5 Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG |
501,00 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
Summe netto: |
521,00 EUR |
Widerspruchsverfahren (Wert: 5.000,00 EUR)
1,3 Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG |
434,20 EUR |
gem. Anm. zu Nr. 2303 VV RVG anzurechnen: 0,75 Geschäftsgebühr aus 5.000,00 EUR |
– 250,50 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
Summe netto: |
203,70 EUR |
Kündigung:
Außergerichtliche Tätigkeit (Wert: 6.000,00 EUR)
1,5 Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG |
585,00 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
Summe netto: |
605,00 EUR |
Rechtsstreit (Wert: 6.000,00 EUR)
1,3 Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG |
507,00 EUR |
gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen: 0,75 Geschäftsgebühr zu B.I.1. aus 6.000,00 EUR |
– 292,50 EUR |
1,2 Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG |
468,00 EUR |
1,0 Einigungsgebühr, Nr. 1003 VV RVG |
390,00 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
Summe netto: |
1.092,50 EUR |
Der Mandant schuldet folglich 2.422,20 EUR netto (zuzüglich USt und sonstiger etwaig angefallener Kosten z.B. Reisekosten).
2. Vertretung vor einem Ausschuss gem. § 111 Abs. 2 ArbGG
Rz. 60
Abrechnungsbeispiel
Der Auszubildende wird fristlos gekündigt. Er beauftragt einen Rechtsanwalt, welcher zunächst vergeblich versucht, außergerichtlich den Arbeitgeber zur Rücknahme der Kündigung zu bewegen. Danach ruft er den zuständigen Schlichtungsausschuss bei der Kreishandwerkerschaft an. Nach erfolglosem Schlichtungstermin erhebt der Rechtsanwalt Klage vor dem ArbG. In der mündlichen Verhandlung wird ein Vergleich geschlossen.
Rz. 61
Anm: Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit ergibt sich aus § 42 Abs. 2 GKG (ehemals § 12 Abs. 7 ArbG). Der Auszubildende hat ein Vierteljahreseinkommen von 2.400 EUR.
Gem. § 17 Nr. 7 RVG liegen drei verschiedene Angelegenheiten vor:
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außergerichtliche Tätigkeit (Nr. 2300 VV RVG), |
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Tätigkeit im Güte- oder Schlichtungsverfahren (Nr. 2303 VV RVG) und |
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Tätigkeit im Rechtsstreit (Nr. 3100 ff. V... |