Rz. 111
Die VwGO hat die einstweilige Anordnung in enger Anlehnung an den Eilrechtsschutz des Zivilprozesses geschaffen. Dementsprechend verweist § 123 Abs. 3 VwGO auf diesbezügliche Vorschriften der ZPO. Wie die ZPO in den §§ 935 und 940 kennt auch § 123 Abs. 1 VwGO zwei Arten der einstweiligen Anordnung, die Sicherungsanordnung (S. 1) und die Regelungsanordnung (S. 2).
Rz. 112
Die Sicherungsanordnung (§ 123 Abs. 1 S. 1 VwGO) dient der Sicherung des "Status quo“, soweit dies erforderlich ist, um die Vereitelung oder Beeinträchtigung eines Rechts des ASt. zu verhindern. Das Gericht kann hier nur bestandsschützende Maßnahmen treffen."
Rz. 113
Beispiele
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Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung, der allerdings wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses abgelehnt wurde; |
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Antrag auf Erteilung eines Ersatzführerscheins; |
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im Wege des § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO kann die Verpflichtung begehrt werden, die Einhaltung der örtlichen Flugbeschränkungen zu überwachen und es zu unterlassen, andere als die genehmigten Flugverfahren anzuwenden; |
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Unterlassung der Durchführung von Straßenbauarbeiten; |
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Unterlassung von Straßenlärm und Abgasen; |
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Unterlassung von Tiefflügen; |
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Verpflichtung der Behörde, bestimmte behördliche Handlungen zu unterlassen; |
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vorläufige Anerkennung als medizinisch-psychologische Untersuchungsstelle (BayVGH zfs 1998, 36), wobei als Anordnungsanspruch der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung geltend gemacht wurde; |
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Erteilung einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis; |
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Feststellung der Benutzbarkeit eines (öffentlichen) Weges; |
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vorläufiger Rechtsschutz gegen den faktischen Bau einer Gemeindestraße ohne förmliche Planungsentscheidung. |
Rz. 114
Regelungsanordnungen (§ 123 Abs. 1 S. 2 VwGO) sind in allen sonstigen Fällen möglich, in denen die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung besteht. Dies trifft insbesondere zu, wenn es um die vorläufige Begründung oder Erweiterung einer Rechtsposition des ASt. geht, soweit dies zur Abwehr von wesentlichen Nachteilen, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig ist. Der in § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO verwendete Begriff des Rechtsverhältnisses ist derselbe wie in § 43 VwGO (Feststellungsklage).
Rz. 115
Nicht zuletzt mit Blick auf die von Art. 19 Abs. 4 GG geforderte Effektivität des Eilrechtsschutzes gilt § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO insofern auch als Auffangtatbestand. Von der Praxis wird – u.a. deshalb – auch keine so scharfe Trennung zwischen Sicherungs- und Regelungsanordnung vorgenommen. Im anwaltlichen Schriftsatz reicht es dementsprechend aus, wenn der Antrag auf § 123 (Abs. 1) VwGO gestützt wird. Eine Differenzierung nach § 123 Abs. 1 S. 1 und S. 2 VwGO ist nicht nötig. Dies enthebt aber nicht von der Verpflichtung, Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch darzulegen.
Rz. 116
Beispiele
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Antrag, die Fahrerlaubnisbehörde im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, die FE zu erteilen; |
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Antrag, die Fahrerlaubnisbehörde im Wege der einstweiligen Anordnung zur Erteilung eine FE zur Fahrgastbeförderung zu verpflichten; |
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Antrag und Anspruch auf Entfernung von unter das Verwertungsverbot fallender Korrespondenz und Übersendung der Führerscheinakte erst nach entsprechender Entfernung; |
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straßenverkehrsrechtliche Genehmigung einer Motorsportveranstaltung; |
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Antrag auf Aufstellung eines Verkehrszeichens; |
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Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Befahren der Fußgängerzone; |
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eine im Anordnungsverfahren erstrebte vorläufige Genehmigung zur Ausübung von Notfallrettung; |
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einstweilige Anordnung für eine einstweilige Erlaubnis nach dem PBefG. |
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Zum Eilrechtschutz bei Sperrung und Verlegung einer Haltestelle des öffentlichen Nahverkehrs wegen erhöhter Gefahrenlage vgl. VG Köln, Beschl. v. 22.10.2015 – 18 L 2421/15, juris. |