Rz. 6

Durch den Eilrechtsschutz darf aber grundsätzlich nicht die Hauptsache vorweggenommen werden.

 

Rz. 7

 

Beispiele

Auch wenn eine im Anordnungsverfahren erstrebte Genehmigung zur Ausübung von Notfallrettung nur vorläufig und unter der auflösenden Bedingung einer rechtskräftigen negativen Entscheidung im Widerspruchs- bzw. Klageverfahren ausgesprochen werden soll, ist der Antrag doch auf eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen Anordnungsverfahren gerichtet.[17]
Hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung die Einstellung eines Betriebes zur Folge (wie dies bei dem Widerruf einer Erlaubnis im gewerblichen Straßenverkehr – vgl. § 3 Abs. 5 GüKG – der Fall sein kann), so führt der sofort vollziehbare Widerruf der Erlaubnis nach VGH BW[18] nicht zur Vorwegnahme der Hauptsache, da das Gericht im Rahmen seiner Entscheidung über den Aussetzungsantrag nicht verpflichtet ist, eine reine Folgenabwägung vorzunehmen. Vielmehr trifft das Gericht hier eine umfassende Ermessensentscheidung auf der Grundlage eines "gemischt materiell-akzessorisch/interessenbewertenden Ansatzes".
 

Rz. 8

Ausnahmsweise – und das stellt die Bedeutung des vorläufigen Rechtsschutzes besonders heraus – ist aber die Vorwegnahme der Hauptsache im Eilverfahren dann möglich, wenn die Vorenthaltung dieses Rechtsschutzes für den ASt. in einer dem Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes widersprechenden Weise zu schlechthin unzumutbaren Folgen, etwa zur Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz, führen würde und wenn die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass der ASt. auch im Hauptsacheverfahren obsiegen wird.[19] Dazu reicht es nicht aus, wenn es sich um Belastungen im privaten Bereich (z.B. bessere Möglichkeit zur Pflege familiärer und sozialer Kontakte und höhere Lebensqualität) handelt.[20] Auch erhebliche wirtschaftliche Nachteile reichen grundsätzlich nicht aus.[21] Eine partielle Vorwegnahme der Hauptsache durch einstweilige Verpflichtung zur Erteilung einer FE scheidet jedenfalls aus, wenn zur Beurteilung der Fahreignung noch eine medizinisch-psychologische Untersuchung geboten ist. Dies gilt auch dann, wenn die von der Fahrerlaubnisbehörde erlassene Gutachtensanordnung rechtsfehlerhaft ist und deshalb im Hauptsacheverfahren ein Neubescheidungsausspruch in Betracht kommt.[22]

 

Rz. 9

Weitere Fälle:[23]

Eine Ausnahme vom Verbot die Hauptsache vorwegzunehmen hat das OVG NRW bei einem nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO gestellten Antrag auf Wiedererteilung der FE zur Fahrgastbeförderung angenommen, da dieser Anspruch ansonsten in angemessener Zeit nicht zu verwirklichen sei und da dies für den ASt. zu unzumutbaren Folgen führen würde. Seinen glaubhaften Angaben zufolge bestritt er nämlich seinen Lebensunterhalt für sich, seine Ehefrau und für seine vier Kinder seit Jahren ausschließlich durch seinen Verdienst aus der Beförderung von Fahrgästen. Da der ASt. auch den Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hatte, wurde seinem Begehren stattgegeben.[24]
Die im Rahmen der Neuerteilung auf der Grundlage des § 11 Abs. 10 S. 1 FeV mögliche Wiederherstellung der Eignung durch einen Kurs nach § 70 FeV statt einer – ansonsten notwendigen – erneuten MPU, führt bei Vorliegen der Voraussetzungen im Übrigen dazu, dass der Betroffene einen Anspruch auf die hierzu gleichfalls notwendige Zustimmung der Fahrerlaubnisbehörde nach § 11 Abs. 10 S. 1 Nr. 3 FeV hat. Dieses Begehren kann im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO geltend gemacht werden, ohne dass sich der Betroffene auf ein Neuerteilungsverfahren verweisen lassen muss. Dies bedeutet keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache.[25] Wird im Anschluss an eine im Entziehungsverfahren erfolgte Gutachtenanforderung ein negatives Gutachten vorgelegt, das die Teilnahme an einem Kurs nach § 11 Abs. 10 FeV empfahl, dieser Kurs dann aber allerdings zunächst nicht absolviert, so kann die Wiederherstellung der Fahreignung durch spätere Teilnahme an einem solchen Kurs nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens einer Entziehungsverfügung im gerichtlichen Verfahren nicht mehr entgegengehalten werden. Die durch spätere Kursteilnahme wiedererlangte Fahreignung kann nur in einem Verfahren auf Neuerteilung der FE geltend gemacht werden.[26]
Ausnahme vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache bei einer straßenverkehrsrechtlichen Genehmigung einer Motorsportveranstaltung, wenn aufgrund längjähriger Genehmigungen ein Vertrauensschutz entstanden ist.[27]
[17] OVG Saarland zfs 1997, 117; siehe auch VGH BW NZV 1997, 287.
[18] zfs 2000, 368.
[19] OVG Saarland zfs 1997, 117, m.w.N.; BVerfG, Beschl. v. 25.10.1988 – 2 BvR 745/88, NJW 1989, 827; VGH BW, Beschl. v. 17.1.2000 – 10 S 1979/99, zfs 2000, 228 = NZV 2000, 269 = DAR 2000, 181; VG München, Beschl v. 17.5.2004 – M 6 a E 04.1998, SVR 2005, 394. Zum Folgenden auch: Haus in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, § 20 FeV, Rn 87 ff.; BayVGH, Beschl. v. 8.10.2014 – 11 CE 14.1776, zfs 2014, 717 = DAR 2015, 35: Eine Vorwegnahme der Hauptsache durch einstweilige Verp...

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