Rz. 253
Durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27.7.2001 wurden die Vorschriften über die Rechtsmittel in der ZPO grundlegend geändert. Kernpunkt der Änderungen ist, dass auch im Berufungsrechtszug grds. nur noch eine Fehlerkontrolle stattfinden soll. Gem. § 529 ZPO darf das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung nur noch die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellung begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten oder neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist, zugrunde legen.
Diese Fehlerkontrolle ist jedoch im Kontext mit der in § 139 ZPO statuierten erweiterten richterlichen Hinweis- und Aufklärungspflicht des Gerichts zu sehen. Hiernach hat das Gericht darauf hinzuwirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das (erstinstanzliche) Gericht seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als die Parteien. Die vom Gericht zu erteilenden Hinweise sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Soweit einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich ist, hat das Gericht auf Antrag eine Frist zu bestimmen, in der sie die Erklärung schriftlich nachreichen kann. Gem. § 279 Abs. 3 ZPO hat das Gericht im Anschluss an die Beweisaufnahme den Sach- und Streitstand sowie das Ergebnis der Beweisaufnahme erneut mit den Parteien zu erörtern, um auch hier noch die Möglichkeit zu geben, eventuelle Unklarheiten und Missverständnisse auszuräumen.
Weiterer Kernpunkt der Änderung des Rechtsmittelrechtes ist, dass die Revision nur noch zulässig ist, wenn sie entweder vom Berufungsgericht oder auf Nichtzulassungsbeschwerde vom Revisionsgericht zugelassen ist. Die früher gegebene Möglichkeit der Streitwertrevision ist entfallen. Revisionen sind nunmehr auch gegen Berufungsurteile der Landgerichte möglich. Früher zulässige Sonderrechtsmittel, wie der Rechtsentscheid in Wohnraummietsachen, sind ersatzlos entfallen.
Das Beschwerdeverfahren wurde dem Instanzenzug der Hauptsache angepasst. Die Beschwerde ist – mit Ausnahme der Fälle, in denen von Gesetzes wegen eine andere Frist angeordnet wurde – nur noch als sofortige Beschwerde mit einer Notfrist von zwei Wochen zulässig.
Die früher zulässige weitere Beschwerde wurde durch die revisionsähnliche Rechtsbeschwerde ersetzt, die die höchstrichterliche Klärung von Rechtsfragen aus dem Bereich der Nebenentscheidungen, wie z.B. in Kostenfragen, ermöglichen soll. Rechtsbeschwerdegericht ist immer der BGH. Die Zulassungs- und Zulässigkeitskriterien entsprechen denen der Revision.
Mit der Einführung der Rechtsbeschwerde ist die früher zulässige außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit einer Entscheidung unstatthaft geworden. In Fällen, in denen eine Entscheidung das Verfahrensgrundrecht einer Partei verletzt oder aus sonstigen Gründen "greifbar gesetzwidrig" ist, ist der Verfahrensverstoß durch das Gericht, das ihn begangen hat, auf eine Gegenvorstellung hin zu beseitigen. Das BVerfG hat mit seiner Entscheidung vom 30.4.2003 die von der Rechtsprechung entwickelten außerordentlichen Rechtsbehelfe als den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit nicht genügend angesehen und dem Gesetzgeber aufgegeben, bis zum 31.12.2004 eine Lösung zu finden, soweit dies nicht bereits durch das Zivilprozessreformgesetz geschehen sei. In der Folge ist zum 1.1.2005 das Anhörungsrügengesetz in Kraft getreten, das die mit dem Zivilprozessreformgesetz eingeführte Gehörsrüge wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs gem. § 321a ZPO ändert (vgl. auch Rdn 282 ff.).
I. Berufung
1. Rechtliche Grundlagen
Rz. 254
Gem. § 511 ZPO findet die Berufung gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile statt. Endurteile sind sämtliche Urteile, durch die der Prozess für die Instanz entschieden ist. Hierzu gehören auch Anerkenntnis-, Verzichts-, Vorbehalts-, Teil- und Ergänzungsurteile sowie Urteile im Eilverfahren. Zwischenurteile sind mit der Berufung nur angreifbar, soweit es sich um Zwischenurteile über den Grund handelt, vgl. § 304 Abs. 2 ZPO. Gegen Versäumnisurteile ist die Berufung nicht statthaft, soweit die Möglichkeit des Einspruchs gegeben ist, § 514 ZPO.
Zuständiges Berufungsgericht für die Berufu...