Rz. 192

Von den Rechtsmitteln und anderen förmlichen Rechtsbehelfen ist die sog. Gegenvorstellung zu unterscheiden. Sie ist kein Rechtsmittel, sondern beruht letztendlich auf dem Petitionsrecht des Art. 17 GG. Sie beinhaltet die Bitte und Anregung an das Gericht "dass dieses von der ihm grundsätzlich von Amts wegen zustehenden Befugnis, eine Entscheidung, die es getroffen hat, von Amts wegen im Weg der Selbstkontrolle zu ändern oder aufzuheben, Gebrauch machen möge".[211]

 

Rz. 193

Im Hinblick auf die Statthaftigkeit einer Gegenvorstellung hat das BVerwG ausgeführt,[212] dass mit der Rechtskraft zugunsten des obsiegenden Beteiligten eine Bindungswirkung eintritt. Sie schützt aus Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens den obsiegenden Beteiligten davor, dass die ergangene Entscheidung ohne weiteres wieder in Frage gestellt werden kann. Die Rechtskraft verhindert ferner im öffentlichen Interesse, dass der bereits entschiedene Streit immer wieder den Gerichten unterbreitet werden kann.[213] Durch welche Rechtsbehelfe und unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen die Rechtskraft eines Urteils ausnahmsweise durchbrochen werden kann, hat deshalb auch aus Gründen der Rechtsmittelklarheit, die ebenfalls aus dem Gebot der Rechtssicherheit folgt, der Gesetzgeber zu entscheiden.[214] Er hat neben dem Institut der Wiederaufnahme des Verfahrens mit der Anhörungsrüge des § 152a VwGO einen Rechtsbehelf geschaffen, der in Fällen eines schweren Verfahrensfehlers, nämlich einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, unter näher bezeichneten Voraussetzungen die Fortsetzung des abgeschlossenen Verfahrens ermöglicht. Dem lässt sich die Wertung des Gesetzgebers entnehmen, dass es in anderen Fällen eines behaupteten Verfahrensfehlers oder der angeblichen Unrichtigkeit der Entscheidung bei der eingetretenen Rechtskraft bleiben soll. Das schließt es aus, neben der Anhörungsrüge die in ihren Voraussetzungen nicht geregelte Gegenvorstellung als weitere Möglichkeit zuzulassen, die Rechtskraft eines Urteils zu durchbrechen.[215] Gegenvorstellungen gegen die Ablehnung eines Antrages auf Zulassung der Berufung sind danach nach HessVGH nicht statthaft und deshalb unzulässig. Allein statthafter Rechtsbehelf sei die Anhörungsrüge nach § 152a VwGO.[216]

 

Rz. 194

Seit der Einführung der Anhörungsrüge nach § 152a VwGO ist die Zulässigkeit der Gegenvorstellung umstritten. Richtig ist, dass es grundsätzlich auch Aufgabe des Gesetzgebers ist, den vom BVerfG geforderten Rechtsschutz "in weiteren Fällen, in denen dies rechtsstaatlich geboten ist"[217] zu verwirklichen. Der Grundsatz der Rechtsmittelklarheit mag auch verlangen, dass Rechtsmittel grundsätzlich gesetzlich geregelt sind.

 

Rz. 195

Immerhin ist aber in der Regierungsbegründung zum Anhörungsrüge-Gesetz[218] ausgeführt, dass weder die Gegenvorstellung noch die außerordentliche Beschwerde durch die neu eingeführte Anhörungsrüge ausgeschlossen sein sollen (vgl. oben Rdn 191). Das BVerfG hat zumindest erklärt, dass nicht angenommen werden könne, dass ein derartiger Rechtsbehelf unstatthaft sei. Andererseits können gesetzlich geregelte Bindungen des jeweiligen Gerichts an die eigene Entscheidung nicht umgangen werden.[219] Klar ist auch, dass die Gegenvorstellung nur in Ausnahmefällen und zur Beseitigung groben Unrechts und bei gravierenden Rechtsverletzungen geltend gemacht werden kann. Schwerwiegende Grundrechtsverstöße und Unvertretbarkeit einer angegriffenen Entscheidung, die jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt, die Verletzung des Willkürverbots müssen eine Korrektur erfahren können, zumal die Gegenvorstellung letztendlich auf dem Petitionsrecht des Art. 17 GG beruht.[220] Auch das BVerwG kennt in neueren Entscheidungen die Gegenvorstellung.[221]

 

Rz. 196

Gegenvorstellungen sind damit grundsätzlich in engen Grenzen auch möglich, wenn Rechtsmittel in der Sache nicht mehr gegeben sind. Die Gegenvorstellung bringt allerdings keinen Anspruch auf Überprüfung der damit angegriffenen Entscheidung.[222] Für die Zurückweisung von Gegenvorstellungen sollen weder die Förmlichkeiten von Urteilen noch die von Beschlüssen gelten.[223]

In gravierenden Fällen kann das Gericht zur Aufhebung bzw. zur Änderung seiner Entscheidung verpflichtet sein.[224]

Eine Gegenvorstellung gegen den Beschluss, mit dem die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen wird, ist nach BVerwG unstatthaft.[225]

 

Rz. 197

Nach VGH BW[226] unterliegt die Einlegung einer Gegenvorstellung jedenfalls dann dem Vertretungszwang des § 67 VwGO, wenn ein solcher für das frühere Verfahren vor dem OVG bestand, auf dessen formalen Abschluss sie sich bezieht.

[211] Kopp/Schenke, vor § 124 Rn 9.
[212] BVerwG, Beschl. v. 3. 5.2011 – 6 C 2.10, NVwZ-RR 2011, 709; siehe auch: Beschl. v. 16.10.2007 – 2 B 20.07, 101.07 und v. 23.6.2011- 8 C 14.10, beide juris; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 24.5.2013 – 5 B 36/13; BVerwG, Beschl. v. 22.3.2016 – 8 B 31.16, Rn 8.
[213] BVerfG, Beschl. v. 25.11.2008 – 1 BvR 848/07, BVerfGE122, 190 [203]; BVer...

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