Rz. 48

Nach § 106a SGG kann der Vorsitzende dem Kläger eine Frist setzen zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlt. Des Weiteren kann der Vorsitzende nach Abs. 2 einem Beteiligten (d.h. nicht nur dem Kläger, sondern auch der Beklagten!) unter Fristsetzung aufgeben, zu bestimmten Vorgängen

Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen,
Urkunden oder andere bewegliche Sachen vorzulegen sowie elektronische Dokumente zu übermitteln, soweit der Beteiligte dazu verpflichtet ist.
 

Rz. 49

Entscheidend ist, dass der Vorsitzende diese Erklärungen und Beweismittel, die erst nach dem Abs. 1 und 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen kann (nicht muss!) und ohne weitere Ermittlungen entscheiden kann, wenn

ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichtes die Erledigung des Rechtsstreites verzögern würde und
der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt und
der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.
 

Rz. 50

Die fristgebundene Aufforderung muss nach § 63 Abs. 1 S. 1 SGG zugestellt werden.

 

Hinweis

Zu beachten ist jedoch, dass der Ausschluss mit dem Vorbringen nicht eintritt, wenn es dem Gericht mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung der Beteiligten zu ermitteln, § 106a Abs. 3 S. 3 SGG.

 

Rz. 51

Da das Gericht (anders als im Zivilprozess nach § 296 Abs. 1 ZPO) nicht zur Zurückweisung verpflichtet ist, sondern die Zurückweisung in seinem Ermessen steht, muss die Entscheidung, das Vorbringen zurückzuweisen, begründet werden. Dies geschieht allerdings nicht in einem besonderen Beschluss, sondern in der Endentscheidung.

 

Rz. 52

Bei der Frage, ob die Zulassung des Vorbringens die Erledigung des Rechtsstreites verzögern würde, ist zu fragen, ob der Prozess bei Zulassung des verspäteten Vorbringens länger dauern würde als bei der Zurückweisung. Dies ist anhand eines objektiven Maßstabes zu beurteilen. Ein solcher Fall ist anzunehmen, wenn der Rechtsstreit an sich entscheidungsreif ist, der Vortrag aber erst in der mündlichen Verhandlung erfolgt.

 

Rz. 53

Die Präklusionsvorschriften gelten auch für das Berufungsverfahren (§ 153 Abs. 1 SGG). Hierbei ist insb. zu beachten, dass nach § 157a SGG eine Fortwirkung der Präklusion im Berufungsverfahren stattfinden kann. Eine solche Regelung ist notwendig, um § 106a SGG nicht leer laufen zu lassen. Andernfalls könnte man im erstinstanzlichen Verfahren auf das Vorbringen verzichten und es erst zielgerichtet im Berufungsverfahren einsetzen. Das bedeutet, dass nach § 157a SGG Erklärungen und Beweismittel, die das SG zu Recht nach § 106a Abs. 3 SGG zurückgewiesen hat, auch im Berufungsverfahren zurückgewiesen bleiben. Außerdem kann das LSG erstinstanzlich verspätetes Vorbringen, das aber vom SG nicht zurückgewiesen worden ist, unter den Voraussetzungen des § 106a Abs. 3 SGG zurückweisen.

 

Rz. 54

In allen Fällen ist aber darauf zu achten, dass die Entscheidung über die Zurückweisung in das Ermessen des Gerichts gestellt ist. Hier ist die Pflicht zur Ermittlung von Amts wegen mit dem Bedürfnis nach einem schnellen Verfahren abzuwägen.

 

Rz. 55

Die Frage, ob das Landessozialgericht die Entscheidung des Sozialgerichts, verspätetes Vorbringen nicht zurückzuweisen, in der Berufungsinstanz korrigieren kann, dürfte zu verneinen sein (zum Streitstand Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 157a Rn 9 m.w.N.). Auch wenn das Berufungsverfahren der vollen Überprüfung des erstinstanzlichen Verfahrens dient, kann der Zweck der Präklusion nicht mehr erreicht werden, eine Verzögerung des Verfahrens kann dadurch nicht verhindert werden.

 

Rz. 56

Grds. ist davon auszugehen, dass der Amtsermittlungsgrundsatz im sozialgerichtlichen Verfahren immer noch die Regel und die Präklusionsvorschriften die Ausnahme darstellen. Nach dem Auslegungsgrundsatz, dass Ausnahmen bzw. Durchbrechungen eines Grundsatzes restriktiv auszulegen sind, ist ein anderes Ergebnis als oben dargestellt nicht vorstellbar.

 

Rz. 57

Falls ein Rechtsstreit durch eine Präklusion verloren wird, kann der Kläger jederzeit seine Rechte aus § 44 SGB X geltend machen (s. Rdn 8 ff.), wodurch im gewissen Maße die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung "ausgehebelt" werden kann.

 

Rz. 58

Es ist auch zu beachten, dass das BVerfG in mehreren Entscheidungen sich mit der Frage auseinandergesetzt hat, in welchem Spannungsverhältnis eine Präkludierung mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör steht. Hier ist mehrfach darauf hingewiesen worden, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör grds. vorgeht, vor allem, wenn eine unzulängliche Verfahrensleitung oder eine Verletzung der gerichtlichen Fürsorgepflicht zu einem Ausschluss des Vorbringens bzw. Vorliegens von Beweismitteln usw. geführt hat (BVerfG v. 21.2.1990 – 1 BvR 1117/89).

 

Rz. 59

Gesonderte Rechtsmittel gegen Anordnungen nach § 106a SGG und auch gegen die Zurückweisung von Vorbringen sind nicht gegeben. Eine Fehlerhaftigke...

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