Jürgen Beck, Jürgen Brand
1. Allgemeines
Rz. 35
Das Verfahren vor den Sozialgerichten ähnelt dem vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten, auch wenn § 202 SGG auf die ergänzende Geltung der ZPO verweist.
Rz. 36
Die Aufklärung des Sachverhaltes geschieht von Amts wegen. Da das Amtsermittlungsprinzip gilt, sind Anträge der Beteiligten bzgl. Art und Umfang der erforderlichen Maßnahmen nur als Anregungen zu verstehen. Für die Durchführung der Ermittlungsmaßnahmen ist keine bestimmte Form vorgeschrieben. Eine Durchbrechung dieses Prinzips stellt § 109 Abs. 1 S. 1 SGG dar, nach dem auf Antrag ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden muss. Allerdings sind die hierbei entstehenden Kosten im Allgemeinen vom Kläger zu tragen.
Hinweis
Auch wenn wegen des Amtsermittlungsprinzips Ermittlungen grundsätzlich Aufgabe des Gerichts sind, kann das Stellen und Aufrechterhalten eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags von Bedeutung sein. Gem. § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde auf den Verfahrensmangel der Verletzung von § 103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Rz. 37
Im sozialgerichtlichen Verfahren bestehen erheblich weniger strenge Formvorschriften als in anderen Verfahrensordnungen. Z.B. ist die Klage bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben. Zur Fristwahrung reicht auch die Einreichung bei einer anderen Behörde aus. Eine eigenhändige Unterschrift ist für die Klage nicht erforderlich. § 92 S. 2 SGG ist nur eine "Soll"-Vorschrift. Eine unterlassene Unterschrift kann nachgeholt werden. Abweichend hiervon müssen Berufungs- und Revisionsschriften unterzeichnet sein. Die Klage kann auch mit Telegramm oder Telefax eingelegt werden. Die Klagefrist beträgt einen Monat nach Zustellung bzw. Bekanntgabe des Verwaltungsakts.
Rz. 38
Die bewusste Vernachlässigung von strengen Formvorschriften im Gesetz ist z.T. durch die 8. Novelle zum SGG v. 26.3.2008, die das SGG zum 1.4.2008 geändert hat, aufgegeben worden. Die Absicht des Gesetzes besteht darin, die Sozialgerichte zu entlasten und den Betroffenen beschleunigt Rechtsschutz gewähren zu können.
2. Verschärfung der Formvorschriften
a) Allgemeines
Rz. 39
Durch dieses Gesetz sollen die Sozialgerichte entlastet werden und die Betroffenen beschleunigt Rechtsschutz erhalten. Nach §§ 106a, 157a SGG (neu eingeführt seit 1.4.2008) soll unter engen Voraussetzungen der Vortrag einer Partei "präkludiert" werden können. Das bedeutet: Der Vorsitzende kann dem Kläger eine Frist setzen zur Angabe von Tatsachen. Das Gericht kann Erklärungen oder Beweismittel, die erst nach Ablauf der vom Gericht gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreites verzögern würde und der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt.
Rz. 40
Es wird eine "Fiktion einer Klagerücknahme" für die Fälle eingeführt, in denen der Kläger/in ungeachtet einer Aufforderung des Gerichtes nicht fristgemäß die vom Gericht als geboten angesehene Mitwirkungshandlung erbringt oder hinreichend substantiiert darlegt, warum er die geforderte Handlung nicht vornehmen kann, § 102 Abs. 2 SGG (Abs. 2 neu angeführt seit 1.4.2008). Anlehnung an § 52 Abs. 2 VwGO. Es wird eine Frist von 3 Monaten eingeräumt.
Rz. 41
Anforderungen an Klageschrift und Klagebegründung werden auf niedrigem Niveau erhöht. Die Klage muss den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen, § 92 SGG (n.F. seit 1.4.2008). Alle weiteren Voraussetzungen sind auch weiterhin "Soll-Vorschriften". Das gilt auch für die Unterzeichnung der Klageschrift.
Rz. 42
Erhöhung des Schwellenwertes zur Berufung: Der Beschwerdewert für Klagen wird auf 750 EUR und für Erstattungsstreitigkeiten auf 10.000 EUR erhöht.
Die Beschwerde ist ausgeschlossen, wenn im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Hauptsache nicht berufungsfähig wäre. Ein Beschwerdeausschluss findet unter bestimmten Voraussetzungen auch in PKH- und Kostengrundentscheidungsverfahren statt.
b) Besondere Problembereiche
aa) Zur Klageschrift
Rz. 43
Durch die Neufassung des § 92 Abs. 1 SGG sind die Anforderungen an die Klageschrift verschärft worden. Nunmehr müssen (in Anlehnung an § 82 Abs. 1 S. 1 VwGO) die Angabe des Klägers, der Beklagten und des Gegenstandes des Klagebegehrens aufgeführt sein. Zur Bezeichnung der Beklagten genügt allerdings die Angabe der Behörde.
Rz. 44
In § 92 Abs. 1 SGG ist nicht ausdrücklich geregelt, dass die Bezeichnung des Klägers nicht nur dessen Vor- und Nachnamen erfordert, sondern auch eine ladungsfähige Wohnanschrift. Dies ist aber durch die Rspr. seit Langem anerkannt (BSG v. 18.11.2003 – B 1 KR 1/02 S –, SozR 4–1500 § 90 Nr. 1). Die Angabe eines Postfaches oder einer postlagernden Adresse genügt nicht (BVerwG v. 18.11.2003, NJW 1999, 2608). Das gilt auch für die Angabe der Mobilfunknummer bzw. der E-Mail – Adresse (BSGV. 18.11.2003, s.o.). Allerdings müssen diese Angab...