1. Typischer Sachverhalt
Rz. 123
Wie der Sachverhalt oben Rdn 102. Aus dem Vermögensverzeichnis ergibt sich, dass der Schuldner Klamm für das zurückliegende Jahr noch keine Einkommensteuererklärung abgegeben hat.
Abwandlung: Aus dem Vermögensverzeichnis ergibt sich, dass der Schuldner im August 2020 arbeitslos geworden ist, so dass mit entsprechenden Steuererstattungsansprüchen zu rechnen ist, auch weil er bis dahin einen täglichen Arbeitsweg von mehr als 35 km – eine Strecke – zurückgelegt hat.
2. Rechtliche Grundlagen
Rz. 124
Grds. sind Steuererstattungsansprüche gegenüber dem Finanzamt nach § 46 Abs. 1 AO ohne Begrenzung durch den Pfändungsschutz nach § 850c ZPO pfändbar. Drittschuldner ist in der Regel das Finanzamt gem. § 46 Abs. 7 AO, das allerdings mit anderweitigen Steuerschulden gegen den Erstattungsanspruch wirksam aufrechnen kann (vgl. § 47 AO, § 392 BGB).
Rz. 125
Für die seit dem Jahre 1991 geltende Antragsveranlagung gem. den §§ 19, 38–42f EStG ist zu beachten, dass die Pfändung des Erstattungsanspruches erst nach Ablauf des Kalenderjahres, für das eine Erstattung erfolgen soll, möglich ist. Der Anspruch für das Kalenderjahr 2020 entsteht damit erst am 1.1.2021 um 0.00 Uhr (vgl. § 46 Abs. 6 S. 1 AO, §§ 36 Abs. 1, 38 EStG). Frühestmöglicher Zeitpunkt für die Zustellung an den Drittschuldner Finanzamt ist daher der erste Januarwerktag, auch wenn dies im Hinblick auf die Tatsache, dass der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erst an diesem Tag erlassen werden kann (vgl. § 46 AO), wohl eher theoretischer Natur ist, wenn nicht zuvor klare Absprachen mit dem den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassenden Vollstreckungsgericht sowie dem Gerichtsvollzieher als Zustellungsorgan getroffen wurden. Insofern kann es sich zur Sicherung des Ranges nach § 804 Abs. 3 ZPO empfehlen, mittels einer Vorpfändung am ersten Werktag des neuen Jahres die Zugriffsmöglichkeit zu wahren. Eine vor diesem Zeitpunkt erwirkte Vollstreckungshandlung ist nichtig (vgl. § 46 Abs. 6 AO). Zugleich sollten die Möglichkeiten der elektronischen Antragstellung nach § 829a ZPO genutzt werden.
Steuerart und Erstattungsgrund müssen ausdrücklich und genau bezeichnet werden. Leerformeln (z.B. Ansprüche aus Steuererstattung jeder Art) sind unbestimmt und daher unwirksam. Weiterhin sollte auch der Zeitraum, für den die Ansprüche gepfändet werden sollen, möglichst exakt beschrieben werden, um eine Zurückweisung des Antrages wegen Unbestimmtheit zu vermeiden. Das verbindliche Formular nach der Zwangsvollstreckungsformular-Verordnung enthält weitgehend nur die persönlichen Steuern, so dass es im Einzelfall der Ergänzung bedarf. Für die Eingangsfälle wäre das Formular ausreichend.
Der Pfändungsgläubiger eines Einkommensteuer- bzw. Lohnsteuererstattungsanspruches ist allerdings nicht berechtigt, eine Einkommensteuererklärung im Rahmen einer Antragsveranlagung anstelle des Schuldners abzugeben, da es sich um ein höchstpersönliches Gestaltungsrecht des Schuldners handelt. Dem hat der IXa.-Senat des BGH im Jahre 2003 zunächst widersprochen. In einem Beschluss ist ausgeführt, dass der Gläubiger, der einen Anspruch auf Erstattung von Einkommensteuer gepfändet und zur Einziehung überwiesen erhalten hat, den Hilfsanspruch auf Abgabe der Steuererklärung aus diesem Titel grds. durch Haftantrag gegen den Schuldner vollstrecken kann. Verweigert der Schuldner auch hier seine Mitwirkung, sollte der Gläubiger im zweiten Schritt berechtigt sein, nach einer Ermächtigung durch das Vollstreckungsgericht (§ 887 ZPO) die Steuererklärung selbst abzugeben. Die Herausgabe von Besteuerungsunterlagen des Schuldners an den Vollstreckungsgläubiger darf erst dann angeordnet werden, wenn der Vollstreckungsgläubiger glaubhaft gemacht hat, dass er den Besitz dieser Urkunden aufgrund einer Beteiligung an dem Verfahren zur Festsetzung der Einkommensteuer des Schuldners, eines eigenen Einspruches oder einer eigenen Klage gegen den Drittschuldner benötigt. Trotz der Divergenz in den Entscheidungen war eine Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes nicht geboten, weil die gegenwärtige Divergenz in der Auslegung der §§ 835, 836 Abs. 1 ZPO und der genannten Vorschriften des Finanzverfahrensrechts im Beschwerdefall noch nicht entscheidungserheblich waren. Zulasten des Gläubigers hat der später und andauernd für die Forderungspfändung zuständige VII. Zivilsenat des BGH an dieser Rechtsprechung nicht festgehalten und die vollstreckungsrechtliche Lösung verworfen. Die Praxis folgt teilweise noch immer der Entscheidung aus dem Jahre 2003 und ignoriert die BGH-Entscheidung aus dem Jahre 2008, weil sie als wenig praktikabel empfunden wird. Ein Versuch, im Wege der Ersatzvornahme vorzugehen, kann also sinnvoll sein.