A. Allgemeines
I. Frühere Rechtsprechung
Rz. 1
Die frühere obergerichtliche Rechtsprechung vertrat ganz überwiegend die Auffassung, dass bei einer Alkoholfahrt oder einer Unfallflucht eine Ausnahme von der Sperre nicht gemacht werden könne. Begründet wurde dies damit, dass die Eignung nicht teilbar und damit ein in solchen Verfehlungen zu Tage getretener charakterlicher Eignungsmangel umfassend sei (OLG Celle DAR 1988, 196; OLG Karlsruhe DAR 1978, 139; BayObLG NStZ 1984, 404).
II. Gesetzesmaterialien
Rz. 2
Dem widersprechen bereits die Motive zum 2. Straßenverkehrssicherungsgesetz. Danach ist der Gesetzgeber selbst von der Teilbarkeit der Geeignetheit ausgegangen, wenn er z.B. an Berufskraftfahrer gedacht hat, "deren Unzuverlässigkeit nur bei der Führung von Krafträdern außerhalb ihres Dienstes zu Tage tritt", oder an Landwirte, "die zwar ihren Trecker unbeanstandet führen, aber der Versuchung nicht widerstehen, nach Feierabend ein schnelles Fahrzeug im angetrunkenen Zustand zu benutzen".
III. Eignung ist teilbar
Rz. 3
In der Verkehrspsychologie ist mittlerweile allgemein anerkannt, dass die Eignung sehr wohl teilbar ist. Dieser Auffassung hat sich in der Zwischenzeit auch die Rechtsprechung angeschlossen (LG Hamburg DAR 1996, 108; LG Saarbrücken zfs 2002, 307; OLG Naumburg DAR 2003, 573; BayObLG NZV 2005, 592).
B. Rechtliche Unterschiede
Rz. 4
Die Sperre kann im Urteil unter den gleichen Voraussetzungen beschränkt werden (§ 69a Abs. 2 StGB), wie Ausnahmen vom vorläufigen Entzug gem. § 111a StPO gemacht werden können.
Rz. 5
Es besteht allerdings ein wesentlicher Unterschied:
I. Ausnahme von der Sperre, § 69a Abs. 2 StGB
Rz. 6
Die durch Urteil ausgesprochene Fahrerlaubnisentziehung erfasst die Fahrerlaubnis im Ganzen (BGHSt 6, 183). Eine beschränkte Entziehung ist unzulässig (BGH NJW 1983, 1774; VG München NZV 2000, 271; VG Berlin NZV 2001, 139).
Das Gericht kann aber, wenn besondere objektive oder subjektive Umstände vorliegen, aufgrund derer nach seiner Überzeugung der Zweck der Maßregel, nämlich die Sicherung des Straßenverkehrs, auch mit einer eingeschränkten Verkehrsteilnahme des Täters erreicht werden kann, gem. § 69a Abs. 2 StGB bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen von der Sperre ausnehmen (BayObLG NZV 2005, 592).
Rz. 7
Es kann – im Gegensatz zur vorläufigen Entziehung nach § 111a StPO – jedoch im Urteil immer nur der Verwaltungsbehörde die Erteilung einer Ausnahmefahrerlaubnis gestatten und nicht selbst dem Täter eine eingeschränkte Fahrerlaubnis belassen. Dies hat zur Folge, dass der Angeklagte bei der Verwaltungsbehörde eine neue, auf die Beschränkung lautende Fahrerlaubnis beantragen muss (OLG Oldenburg NJW 1965, 1287). Erst mit der Erteilung durch die Verwaltungsbehörde verfügt der Angeklagte dann über eine Fahrerlaubnis (OLG Hamm NJW 1971, 1193; VG Berlin NZV 2001, 139).
Rz. 8
Achtung: Nach Änderung des § 9 FeV keine Ausnahme vom Entzug der Fahrerlaubnis für Lkw-Führerschein mehr möglich
Bereits in seiner früheren Fassung hatte § 9 FeV bestimmt, dass eine Fahrerlaubnis der Klassen C, C1, D oder D1 nur an Bewerber erteilt werden durfte, die im Besitz der Fahrerlaubnis Klasse B waren. Der damals verschiedentlich (so z.B. Dencker) vertretenen Auffassung, damit dürfe während einer laufenden Sperre auch der Richter keine Ausnahmen für die Klassen C und D mehr erteilen, haben nicht nur führende Autoren (wie z.B. Hentschel) sondern auch der Deutsche Verkehrsgerichtstag 2004 widersprochen und gleichzeitig den Verordnungsgeber aufgefordert, klarzustellen, dass nur der Ersterwerb einer Lkw-Fahrerlaubnis, nicht aber eine Ausnahme von deren Entzug den Besitz eines Pkw-Führerscheins voraussetze. Mit der seit 18.7.2008 in Kraft getretenen 4. Verordnung zur Änderung der FeV hat der Verordnungsgeber jedoch ausdrücklich geregelt, dass § 9 FeV auch im Falle des § 69a Abs. 2 StGB gilt und zwar mit der Begründung, dass mit der Fahrerlaubnisverordnung nur die Führerscheinrichtlinie der EG umgesetzt worden sei, so dass es sich bei der Vorschrift des § 9 FeV um zwingendes Recht handele. Deshalb ist nach allgemeiner Meinung jetzt eine Ausnahme von der Sperre für Lkw-Führerscheine durch Urteil nicht mehr möglich (siehe AK IV VGT 2010, DAR 2010, 173).
Rz. 9
Achtung: Ausnahme von der vorläufigen Sperre gem. § 111a Abs. 1 S. 2 StGB
§ 9 FeV verbietet nur die Gewährung einer Ausnahme von der Sperre durch Urteil gem. § 69a Abs. 2 StGB, nicht jedoch im Rahmen der vorläufigen Entziehung gem. § 111a Abs. 1 S. 2 StPO.
Rz. 10
Auch die sonstigen Ausnahmen, etwa die für andere Führerscheinklassen oder bauartbedingt unterscheidbare Fahrzeuge der Klasse B bzw. Lkw der alten Klasse 3 sind dagegen nach wie vor auch im Wege des § 69a Abs. 2 StGB möglich.
Nicht zuletzt deshalb wird nachfolgend auch die vor der Änderung des § 9 FeV ergangene Rechtsprechung mitaufgeführt.
II. Ausnahme von der vorläufigen Entziehung, § 111a Abs. 1 S. 2 StPO
Rz. 11
Anders als im Urteil kann der Richter im Rahmen der vorläufigen Entziehung bestimmte Fahrzeugarten bereits von der Sperre ausnehmen. § 111a Abs. 1 S. 2 StPO (OLG Düsseldor...