(a) Erhebliche zusätzliche Alkoholisierung nach Unfallflucht ("Flucht in den Alkohol")

 

Rz. 35

Bei behauptetem Nachtrunk kann die Anordnung zur Gutachtenbeibringung auf § 13 Nr. 2a FeV gestützt werden, wenn den betroffenen Kraftfahrer nach eigenem Bekunden die Aufregung über einen Verkehrsunfall mit nur geringem Sachschaden dazu veranlasst hat, bei bereits bestehender Alkoholisierung von mindestens 0,8 Promille in kurzer Zeit drei Obstschnäpse und drei 0,5-Liter-Flaschen Bier zu trinken, und dadurch eine BAK von 1,97 Promille erreicht wird. Ein derartiges Verhalten ist nicht nachvollziehbar, ohne dass eine gewisse Dauer regelmäßigen Alkoholkonsums mit Erreichen hoher BAK-Werte angenommen werden kann und damit eine missbräuchliche Gewöhnung an Alkohol besteht.[53]

 

Rz. 36

Ähnlich das VG Saarland: Selbst wenn im Zeitpunkt der Blutentnahme bei einem BAK von 2,16 Promille bei behauptetem Nachtrunk für die Trunkenheitsfahrt nur 1,43 Promille nachzuweisen sind, kann allein die Tatsache, dass Alkohol in solcher Menge konsumiert werden kann (2,16 Promille), ohne erhebliche alkoholbedingte Ausfallerscheinungen zu zeigen, den Verdacht eines erheblichen Alkoholmissbrauchs begründen und auf eine überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung hindeuten.[54]

[53] VGH BW, Beschl. v. 17.11.2000 – 10 S 1979/99, zfs 2000, 228, 229 = DÖV 2000, 432 = DAR 2000, 181 = VRS 98, 399; so auch: VG Augsburg, Urt. v. 11.5.2004, BA 2005, 193.
[54] VG Saarland zfs 1994, 431, bestätigt durch OVG Saarland zfs 1995, 37.

(b) Alkoholisierung ohne unmittelbare Verkehrsteilnahme

 

Rz. 37

Dauerkonflikt als Berufskraftfahrer (einerseits Neigung, häufig in großen Mengen Alkohol zu konsumieren, und andererseits Verpflichtung, den Beruf im fahrtüchtigen Zustand auszuüben): Wer als Berufskraftfahrer[55] oder Taxifahrer[56] außerhalb des Straßenverkehrs erheblich Alkohol konsumiert, bei dem ist zu befürchten, dass er unter einem die Verkehrssicherheit beeinträchtigenden Einfluss von Alkohol am Straßenverkehr teilnimmt.

Überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung und häufige Einnahme großer Mengen Alkohol i.V.m. früherer Trunkenheitsfahrt:[57] Hier ist zu besorgen, ob der Betroffene, der weiter in erheblichem Umfang Alkohol zu sich nimmt, erneut – wie in der Vergangenheit bereits verwirklicht – ein mangelndes Trennvermögen zwischen verkehrsgefährdendem Alkoholkonsum und Verkehrsteilnahme realisiert. Ein entsprechendes Untersuchungsbedürfnis besteht auch dann, wenn noch keine weitere Verkehrsteilnahme unter Alkohol stattgefunden hat. Dieses Risiko soll gerade untersucht und dessen Realisierung verhindert werden.

Frühere Alkoholauffälligkeit im Straßenverkehr und spätere erhebliche Alkoholisierung mit sozial verantwortungslosem Verhalten: In dem entschiedenen Fall war eine Frau wegen Trunkenheit im Verkehr zur Verantwortung gezogen worden und fiel einige Jahre später dadurch auf, dass sie erheblich alkoholisiert ihr vierjähriges Kind nachts in einem Lokal nicht mehr beaufsichtigen konnte. Aus der Zusammenschau der früheren Verkehrsauffälligkeit und der erneuten Auffälligkeit steht zu befürchten, dass die Betroffene ihrer Pflicht, bei der Verkehrsteilnahme auf eine strikte Trennung vom Alkoholkonsum zu achten, nicht nachkommen wird. Daher ist es auch in diesem Fall gerechtfertigt, einem möglichen Alkoholmissbrauch durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung nachzugehen, der allerdings an der Grenze eines noch mittelbaren Bezugs der erheblichen Alkoholisierung zur Verkehrsteilnahme liegt.[58]

[55] VGH BW, Urt. v. 24.6.2002, DAR 2002, 573.
[56] VGH BW, Urt. v. 29.7.2002, DAR 2002, 570; Urt. v. 29.1.2007, BA 2007, 114.
[57] Im Fall des VGH BW zfs 2002, 504 Alkoholmenge deutlich über zwei Promille und frühere Trunkenheitsfahrt sieben Jahre vorher.
[58] VGH BW, Beschl. v. 22.1.2001, zfs 2001, 233; zustimmend: Geiger, DAR 2003, 347; ablehnend: Himmelreich, DAR 2002, 60.

(c) Alkoholisierung und Einwirkung auf anderen im Straßenverkehr

 

Rz. 38

Wenn der Halter eines Fahrzeugs in erheblich alkoholisiertem Zustand zwar davon Abstand nimmt, selbst zu fahren, jedoch seiner ebenfalls unter Alkoholeinfluss stehenden Ehefrau das Fahrzeug überlässt und zu deren unerlaubtem Entfernen vom Unfallort Beihilfe durch Unterlassen leistet,[59] zeigt dieser, dass er einen erheblichen Alkoholkonsum und dessen Auswirkung auf den Straßenverkehr nicht ausschließen kann. In diesem Fall wirkte der Halter und Beifahrer erheblich auf seine Ehefrau ein, er hatte quasi die Herrschaft über das Geschehen inne.

[59] VG Minden, Urt. v. 27.2.2002, 3 K 1764/02.

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