Rz. 40
Leider werden nicht alle Verträge immer so wie vereinbart erfüllt. Es treten vielmehr immer wieder Probleme auf, weil eine Partei nicht mehr willens oder fähig ist, den geschlossenen Vertrag zu erfüllen, weil Differenzen über den Inhalt des Vertrages und die daraus für die Parteien des Vertrages folgenden Rechtspflichten bestehen, oder weil die eine Partei nicht bereit ist, ihren Teil des Vertrages zu erfüllen, bevor die andere nicht die ihr obliegenden Pflichten erfüllt hat. Man spricht dann von Leistungsstörungen. Zur Klärung solcher Probleme ist es notwendig, sich die Struktur der vertraglichen Pflichten zu verdeutlichen.
I. Vertragliche Pflichten
Rz. 41
Die vertraglichen Pflichten gliedern sich in Haupt- und Nebenpflichten.
Hauptpflichten sind solche, auf die der Vertrag gerichtet ist. Sie ergeben sich normalerweise aus der Anspruchsgrundlage, d.h. aus dem den Vertrag grundsätzlich regelnden Paragraphen.
Beispiel:
Hauptpflichten des Kaufvertrages sind für den Käufer die Abnahme und Bezahlung der gekauften Sache, für den Verkäufer die Übergabe und Eigentumsverschaffung, § 433 BGB. Weiterhin hat der Verkäufer dem Käufer die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu übergeben (§ 433 Abs. 1 S. 2 BGB).
Im Werkvertrag ist gemäß § 631 Abs. 1 BGB Hauptpflicht des Werkunternehmers, das Werk zu erstellen. Hauptpflicht des Bestellers ist hingegen die Abnahme und die Zahlung des vereinbarten oder üblichen Werklohnes.
Rz. 42
Nebenpflichten ergeben sich hingegen entweder aus dem Vertrag unmittelbar, ansonsten aus dem Grundsatz von Treu und Glauben oder aus der Natur des Rechtsverhältnisses.
Beispiel:
A kauft bei B 500 g Vogelfutter, das B in loser Form verkauft. Nebenpflicht des B ist, das Vogelfutter transportierbar zu verpacken. Es reicht nicht aus, dem A das lose Vogelfutter zu überreichen und ihm daran das Eigentum zu verschaffen. Dies führt aber zur Erfüllung der Hauptpflicht.
Rz. 43
Der zentrale Tatbestand für fast alle möglichen Leistungsstörungen ist die "Pflichtverletzung" des Schuldners (§ 280 Abs. 1 BGB). Alle Ansprüche des Gläubigers wegen Pflichtverletzung des Schuldners sind deshalb über § 280 Abs. 1 BGB abzuwickeln. Diese Vorschrift ist der zentrale Haftungstatbestand. Das Leistungsstörungsrecht gibt somit dem Gläubiger grundsätzlich einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn der Schuldner "eine Haupt- bzw. Nebenpflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt" (§ 280 Abs. 1 S. 1 BGB). Da nach § 311 Abs. 2 BGB bereits die Aufnahme von Vertragsverhandlungen und die Vertragsanbahnung ein Schuldverhältnis begründen, ist eine Pflichtverletzung im Rahmen dieser ebenfalls als eine solche i.S.d. § 280 BGB anzusehen.
Beispiel:
A will in einem Supermarkt von B einkaufen. Noch bevor er das Geschäft betritt, rutscht er auf einem schlampig befestigten Gitterrost im Eingangsbereich des Supermarktes aus. B ist verpflichtet, den Zugangsbereich zum Supermarkt so zu gestalten, dass mögliche Kunden gefahrlos zu den Verkaufsräumen gelangen können. B trifft eine gewisse Sorgfalts- und Obhutspflicht schon vor Vertragsabschluss. Diese Pflicht hat B verletzt. A hat somit z.B. einen Anspruch auf Ersatz seiner Heilbehandlungskosten aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB.
II. Leistungsort und -zeit
Rz. 44
Neben der Frage, welche Pflicht zu erfüllen ist, ist auch die Frage von Interesse, wo und wann sie zu erfüllen ist.
Hieran knüpft später zum einen möglicherweise der Gerichtsstand, an dem ein Anspruch gerichtlich geltend gemacht werden kann, zum anderen ist eine Schuld nur dann erfüllt, wenn auf sie am rechten Ort zur rechten Zeit geleistet wird. Die Frage, ob am richtigen Ort zur richtigen Zeit erfüllt worden ist, ist daher häufig von großer Bedeutung für den Ausgang eines Rechtsstreits.
1. Leistungsort
Rz. 45
§ 269 BGB bestimmt, dass eine Schuld an dem Ort zu erfüllen ist, der vereinbart ist. Ist kein Ort vereinbart und ist auch den Umständen des Geschäftes ein Erfüllungsort nicht zu entnehmen, so hat die Leistung im Zweifel an dem Ort zu erfolgen, an dem der Schuldner zum Zeitpunkt der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hat. Wenn jedoch der Transport von Ware verabredet ist, liegt eine Schickschuld vor. Selbst die Tatsache, dass der Schuldner sich bereit erklärt, die Transportkosten zu übernehmen (z.B. Lieferung frei Haus), ist gem. § 269 Abs. 3 BGB allein kein ausreichendes Indiz für eine Bringschuld. Interessant ist, dass selbst die Tatsache, dass der Schuldner die Versandkosten übernimmt, gem. § 269 Abs. 3 BGB allein kein ausreichendes Indiz für eine Bringschuld ist.
Für gewerbliche Niederlassungen des Schuldners ist der Ort der Niederlassung maßgebend.
Beispiel
A beauftragt den B, sein Dach zu decken.
Hier ergibt sich aus den Umständen, dass die Schuld am Haus des A erfüllt werden muss, da sie nur dort erfüllt werden kann.
Anders ist es, wenn A bei B eine Schrankwand bestellt. Hier muss B seine Leistung nur dann im Haus des A erbringen, wenn dies vertraglich vereinbart oder – wovon heute nicht mehr ausgegangen werden kann – sich aus den sonstigen Umständen des Geschäfts ergibt...