Rz. 13
Wichtig ist, dass sich der Rechtsübergang in Form der cessio legis gem. § 116 SGB X bereits zum Zeitpunkt des Schadenseintritts vollzieht. Dies gilt aber nur dann, wenn zu diesem Zeitpunkt ein Versicherungsverhältnis bestanden hat.
Die Rechtsprechung folgert dies aus der in § 116 Abs. 1 SGB X gewählten Formulierung, wonach für den Anspruchsübergang maßgeblich ist, dass die Sozialversicherungsträger Leistungen zu erbringen haben. Die Pflicht zur Leistungserbringung setzt eine logische Sekunde nach dem Schadenseintritt ein. Folglich ist der Geschädigte bereits unmittelbar nach dem Schadenseintritt hinsichtlich zahlreicher Schadenspositionen nicht mehr anspruchsberechtigt, obwohl von den Sozialversicherungsträgern noch keine Leistungen erbracht wurden. Dies hat wichtige Konsequenzen: Der Geschädigte
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kann über die bereits übergegangenen Ansprüche – z.B. im Rahmen eines Vergleichs – nicht mehr wirksam verfügen und |
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ist im Rahmen einer klageweisen Geltendmachung seiner Schadensersatzansprüche aus Anlass des Unfallschadens hinsichtlich der bereits übergegangenen Ansprüche nicht mehr aktivlegitimiert. |
Rz. 14
Muster 6.2: Anspruchsübergang zum Unfallzeitpunkt
Muster 6.2: Anspruchsübergang zum Unfallzeitpunkt
Der in § 116 Abs. 1 SGB X normierte Anspruchsübergang findet bei Sozialleistungen, die aufgrund eines Sozialversicherungsverhältnisses erbracht werden, in aller Regel bereits im Zeitpunkt des schadenstiftenden Ereignisses statt, sofern zu diesem Zeitpunkt ein Versicherungsverhältnis besteht. Es handelt sich um einen Anspruchsübergang dem Grunde nach, der den Sozialversicherungsträger vor Verfügungen des Geschädigten schützt (BGH, Urt. v. 24.4.2012 – VI ZR 329/10 = NJW-Spezial 2012, 394; BGH, Urt. v. 8.7.2003 – VI ZR 274/02 – juris). Ein Anspruchsübergang auf den Sozialversicherungsträger erfolgt nur dann nicht im Zeitpunkt des Schadenseintritts, wenn die Entstehung einer Leistungspflicht völlig unwahrscheinlich, also geradezu ausgeschlossen ist.
Rz. 15
Dies gilt aber nicht uneingeschränkt: Bei Sozialleistungen, die nicht aufgrund eines Sozialversicherungsverhältnisses erbracht werden, ist für den Zeitpunkt des Rechtsübergangs maßgebend, dass nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls eine Leistungspflicht ernsthaft in Betracht zu ziehen ist. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für Sozialleistungen, die nicht an das Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses anknüpfen, sind jedenfalls nicht auf Sozialleistungen eines Sozialversicherungsträgers zu übertragen. Auch scheidet ein Anspruchsübergang zum Zeitpunkt des Schadenseintritts aus, wenn die Entstehung einer Leistungspflicht durch den Sozialleistungsträger völlig unwahrscheinlich ist.
Hinweis
Etwaige Unkenntnis über den bereits erfolgten Anspruchsübergang kann unangenehme Folgen nach sich ziehen.
Rz. 16
Beispiel
A erleidet bei einem schweren Verkehrsunfall weit reichende Personenschäden. Die Haftungsfrage ist streitig. Es bestehen unterschiedliche Aussagen zum Unfallhergang. Der Personenschaden zwingt A dazu, seinen Beruf aufzugeben und seinen gesamten Hausstand behindertengerecht umzugestalten. Darüber hinaus muss er eine Pflegekraft beschäftigen und täglich umfangreiche Rehabilitationsmaßnahmen über sich ergehen lassen. Der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners lehnt jedwede Zahlungen ab. Mit der von ihm angestrengten Klage begehrt A Schadenersatz in Höhe von insgesamt 300.000 EUR. Hierzu gehören u.a. ein Erwerbsschaden in Höhe von 50.000 EUR und der Ausgleich vermehrter Bedürfnisse in Höhe von 100.000 EUR. Während des Klageverfahrens stellt sich heraus, dass es der Prozessbevollmächtigte des A verabsäumt hat zu prüfen, welche Ansprüche gem. § 116 SGB X bereits auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind. Diese Ansprüche haben ein Volumen von ca. 150.000 EUR. Obwohl sich im Rahmen der Beweisaufnahme herausstellt, dass der Unfallgegner zu 100 % haftet, wird die Klage zu 50 % abgewiesen mit der Folge, dass A auch die Hälfte der Prozesskosten zu tragen hat.
Rz. 17
Macht der Sozialversicherungsträger einen Regressanspruch nach § 116 SGB X geltend, weil der Versicherte unter Verstoß gegen den gesetzlichen Forderungsübergang eine Zahlung des Schädigers angenommen hat, so liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor, so dass der Sozialgerichtsweg gegeben ist. § 116 SGB gewährt dem Sozialversicherungsträger bei unberechtigter Annahme von Schadensersatzleistungen einen eigenen Herausgabeanspruch gegen den Versicherten und verschärft dessen Haftung dadurch, dass er ihm die Einrede der Entreicherung verwehrt.