A. Übersicht
Rz. 1
Aus den vorangegangenen Ausführungen ist zu entnehmen, wann und unter welchen rechtlichen Voraussetzungen ein Geschädigter Ansprüche aus Anlass eines Verkehrsunfalls gegen den Schadensverursacher oder Dritte geltend machen kann. Die Ausführungen betreffen somit die Anspruchsentstehung.
Rz. 2
Demgegenüber beschäftigen sich die nachfolgenden Ausführungen mit den Fragenkomplexen,
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aufgrund welcher Anspruchsgrundlage, |
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in welchen Fallkonstellationen, |
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zu welchem Zeitpunkt und |
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mit welchen rechtlichen Konsequenzen |
die bereits entstandenen Ansprüche auf Dritte übergehen.
B. § 116 SGB X
Rz. 3
Die Regelung des § 116 SGB X ist bei der Verkehrsunfallbearbeitung stets zu beachten. Sie ist immer dann relevant, wenn der Geschädigte aus Anlass des Unfallereignisses Ansprüche auf Leistungen gegen Träger der Sozialversicherung und/oder der Sozialhilfe geltend machen könnte. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass die dem Geschädigten gegen den Schädiger zustehenden Ansprüche auf Schadensersatz bereits eine logische Sekunde nach dem Schadenseintritt auf den Träger der Sozialversicherung und der Sozialhilfe übergehen können und der Anspruchsübergang u.U. unabhängig davon erfolgt, ob der Geschädigte bereits Leistungen des Sozialversicherungs- bzw. Sozialhilfeträgers in Anspruch genommen hat. Folglich sind grundlegende Kenntnisse über das System des Anspruchsübergangs gem. § 116 SGB X für die tägliche Unfallbearbeitung zwingend erforderlich. Die nachfolgenden Ausführungen geben einen Überblick über die Problematik.
I. Systematik des Anspruchsübergangs
Rz. 4
Erleidet ein Geschädigter infolge eines Verkehrsunfalls einen erheblichen Personenschaden, löst dies unabhängig von der Verursachungs- und Verschuldensfrage in aller Regel Ansprüche gegen die Träger der Sozialversicherung und der Sozialhilfe aus. In Frage kommen z.B. Ansprüche des Geschädigten gegen seinen gesetzlichen Krankenversicherer auf Ausgleich der Behandlungskosten, gegen den Träger der gesetzlichen Unfallversicherung auf Verletztengeld oder gegen den gesetzlichen Rentenversicherungsträger auf Zahlung einer Erwerbsunfähigkeitsrente.
Durch sämtliche Leistungen der Sozialleistungsträger verringert sich der beim Geschädigten eingetretene Schaden. Dies soll dem Schädiger jedoch nicht zugutekommen. Die Einzelheiten hierzu regelt § 116 SGB X. Danach gehen die dem Geschädigten gegenüber dem Schädiger zustehenden Schadensersatzansprüche auf die Träger der Sozialversicherung und der Sozialhilfe in dem Maße über, in dem sie an den Geschädigten Sozialleistungen erbringen, die mit dem vom Schädiger zu erbringenden Ersatzleistungen art- und wesensgleich (kongruent) sind.
Rz. 5
Infolge des Anspruchsübergangs nimmt der Sozialversicherungsträger in Höhe der von ihm erbrachten deckungsgleichen (schadenkongruenten) Leistungen beim Schädiger Regress. Auf diesem Wege wird verhindert, dass die von der Solidargemeinschaft der Sozialversicherten erbrachten Leistungen den Schädiger entlasten. Der Schädiger hat in Höhe dieser Leistungen weiterhin Schadensersatz zu leisten. Es findet lediglich ein Austausch der Anspruchsberechtigten vom Geschädigten zum Sozialversicherungsträger statt.
II. Träger der Sozialversicherung und der Sozialhilfe
Rz. 6
Die Regelung des § 116 SGB X betrifft die Träger der Sozialhilfe und die Träger der Sozialversicherung, also die
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gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung (bei der privaten Krankenversicherung erfolgt der Anspruchsübergang gem. § 86 Abs. 1 VVG), |
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gesetzliche Unfallversicherung (Leistungen der privaten Unfallversicherung berechtigten nicht zum Regress, da es sich hierbei um eine Summenversicherung handelt, die auf individueller Vorsorge des Geschädigten beruht. Die hieraus resultierenden Leistungen muss sich der Geschädigte deshalb nicht auf seinen Schaden anrechnen lassen.), |
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gesetzliche Rentenversicherung (z.B. Deutsche Rentenversicherung), |
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gesetzliche Arbeitslosenversicherung (Bundesagentur für Arbeit) und die |
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örtlichen und überörtlichen Träger der Sozialhilfe (in Nordrhein-Westfalen sind dies beispielsweise die Kreise, die kreisfreien Städte und die Landschaftsverbände). |
III. Übergangsfähige Schadensersatzansprüche
Rz. 7
Der Anspruchsübergang betrifft wortwörtlich die auf anderen gesetzlichen Vorschriften beruhenden Ansprüche auf Ersatz eines Schadens. Damit sind nicht nur gesetzliche Schadensersatzansprüche im eigentlichen Sinn, sondern auch vertragliche Schadensersatzansprüche gemeint, beispielsweise aus den §§ 280 ff. BGB.
Rz. 8
Vertragliche oder vertragsähnliche Erfüllungsansprüche werden hingegen von § 116 SGB X nicht mit umfasst. Aufwendungsersatzansprüche gem. den §§ 683, 670 BGB gehen deshalb nicht gem. § 116 SGB X über.
IV. Schadenskongruenz
Rz. 9
Gem. § 116 SGB X gehen nur diejenigen Schadensersatzansprüche auf den betreffenden Sozialversicherungs- und Sozialhilfeträger über, die mit der von ihm erbrachten Sozialleistung sachlich und zeitlich "kongruent", also art- und wesensgleich sind. Nur wenn der Kostenträger eine "der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienende" Sozialleistung erbracht hat, löst dies den Forderungsüb...