Cordula Schah-Sedi, Michel Schah-Sedi
Rz. 35
War der Getötete selbstständiger Unternehmer, sollte der Anwalt mehrere Dinge beachten. In diesem Fall gibt es keinen Arbeitsvertrag, keine Gehaltsabrechnungen oder sonstigen feststehenden monatlichen Größen (Ausnahme: Geschäftsführer einer Ein-Mann-GmbH). Es ist vielmehr anhand der letzten 3 bis 4 Jahre zu prüfen, welchen durchschnittlichen Gewinn der Selbstständige erwirtschaftet hat. Dieses erfolgt mittels Bilanz oder Jahresabschluss. In der Praxis empfiehlt es sich, hier mit einem Sachverständigen zusammenzuarbeiten bzw. sich mit dem Versicherer auf einen Sachverständigen (Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer) zu einigen, der ein Gutachten erstellt.
Praxistipp
Der Geschädigtenanwalt muss bei der Formulierung des Gutachterauftrages, den der Versicherer vergibt, mitwirken und den Sachverständigen darauf hinweisen, wie auf der Klaviatur des § 286 ZPO und des § 287 ZPO zu spielen ist. Dies ist deshalb wichtig, weil das Gesetz dem Geschädigten nach § 287 ZPO Beweiserleichterungen einräumt. Hiernach reicht es nämlich aus, wenn der Gewinn mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erzielt worden wäre.
Praktisch ist daher die Frage zu stellen, welche Umsätze und Erlöse der Geschädigte vor dem Unfall erzielt hat und welche Umsätze und Erlöse der Selbstständige nach dem Unfall voraussichtlich erzielt hätte. Hier ist der Anwalt gefordert: Er muss das Gutachten exakt überprüfen. Er muss fragen, ob z.B. in der Vergangenheit besondere Investitionen getätigt wurden oder in der Zukunft beabsichtigt waren. Ferner sind die Hinterbliebenen danach zu fragen, welche Unternehmensveränderungen in der Zukunft angestanden hätten: Sollte z.B. der Betrieb erweitert werden? Ferner ist anhand des Jahresabschlusses bzw. der Bilanz zu prüfen, inwieweit das Betriebsergebnis in der Vergangenheit pro Jahr gestiegen ist, um daraus die Zukunftsprognose herleiten zu können.
Praxistipp
Man kann den Gewinn auch dadurch abbilden, dass auf einen Durchschnittsgewinn der letzten 3 bis 5 Jahre zurückgegriffen wird, bei dem eine unterschiedliche Gewichtung erfolgt. Das Schadenjahr wird z.B. mit dem dreifachen Gewinn gerechnet, das Jahr davor mit dem zweifachen und das davor mit dem einfachen Satz, alle werden addiert und durch 6 dividiert. So erhält man einen gewichteten Ausgangswert auf der Basis von drei Jahren, der dann in der Zukunft branchenüblich mit einem Steigerungsfaktor multipliziert wird.
Praxistipp
Es empfiehlt sich, eine Prognose des zukünftigen Betriebsgewinns immer mit einem Fachmann (Steuerberater, Wirtschaftsprüfer) abzusprechen, da auch von dem Betriebsgewinn eine Investitionsrücklage von 25 % abzusetzen ist. Die Berechnungen derartiger Prognosen sind daher in der Praxis nicht leicht und sollten schon deshalb stets mit der Hilfe eines spezialisierten Betriebswirtes durchgeführt werden.
Rz. 36
Gerade bei Familienunternehmen kommt es vor, dass die Witwe den Betrieb weiterführt. Hier sind insbesondere landwirtschaftliche Betriebe oder auch kleinere und mittlere Einzelunternehmen zu nennen. Liegt ein solcher Fall vor, greift die sogenannte Quellentheorie. Das bedeutet, dass der Unterhalt aus derselben Quelle bestritten wird. Es ist daher lediglich die Person des Unterhaltspflichtigen gewechselt worden. Nach der Rechtsprechung müssen die Unterhaltsberechtigten sich diese Einkünfte im Wege des Vorteilsausgleichs anrechnen lassen. Auch dies ist dogmatisch für die Hinterbliebenen schwer zu verstehen, jedoch angesichts der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu akzeptieren (vgl. BGH VersR 69, 951).
Rz. 37
Liegt ein solcher Fall vor, kann den Hinterbliebenen jedoch oftmals geholfen werden, indem genau geprüft wird, ob der Witwe die Fortführung des Geschäfts auch zumutbar ist. Nur wenn die Zumutbarkeit feststeht, erfolgt nämlich eine Anrechnung im Rahmen des Vorteilsausgleichs. Die Frage der Zumutbarkeit richtet sich nach Alter, Leistungsfähigkeit, früherer Tätigkeit und Ausbildung der Witwe sowie der Frage, ob Kinder vorhanden und wie alt diese sind. Konkret bedeutet dies, dass es der Witwe zum Beispiel nicht zumutbar ist, einen Betrieb fortzuführen, wenn Kleinkinder oder Minderjährige bis zum 15. Lebensjahr zu betreuen sind. Der Witwe ist die Fortführung dagegen immer dann zumutbar, wenn sie früher schon im Unternehmen ihres Mannes gearbeitet hat, die Ausbildung, die sie selber absolviert hat, mit dem Gegenstand des Unternehmens im Einklang steht und keine oder aber erwachsene Kinder vorhanden sind.
Praxistipp
Die Frage der Zumutbarkeit ist daher für den Anwalt im Rahmen der Quellentheorie die Weichenstellung, mit der er eine Anrechnung der Erträge am ehesten kippen kann. Versicherer versuchen oft vorschnell, Gutachter zu beauftragen, die den Betrieb unter Berücksichtigung der Quellentheorie bewerten und entsprechende Gutachten erstellen, die dann eine Anrechnung der Einkünfte vornehmen. Hier muss der Anwalt dagegen halten und genau eruieren, ob der Witwe eine Fortführung des Betriebs tatsächlich zumutbar wäre.