I. Angehörigenschmerzensgeld

1. Aktuelle Rechtslage

 

Rz. 145

Nach der geltenden Rechtslage löst der seelische Schmerz durch den Tod eines nahen Angehörigen in der Regel keinen Schmerzensgeldanspruch aus (OLG Köln VersR 1982, 558; BGH NJW 2005, 2614). Auch schwere Schicksalsschläge wie der Tod eines nahen Angehörigen seien dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen und nicht durch ein Schmerzensgeld auszugleichen. Anlässlich der Schuldrechtsreform 2002 wurde versucht, dies zu ändern. Im Ergebnis blieb es jedoch bei der bisherigen Rechtslage. Der BGH hat sich dahingehend geäußert, dass nur in Ausnahmefällen ein Schmerzensgeld zugebilligt werden kann und zwar dann, wenn die gesundheitliche Beeinträchtigung nach Art und Schwere deutlich über das hinausgeht, was Nahestehende normalerweise als mittelbar Betroffene bei dem Miterleben des Todes eines nahen Angehörigen erleiden (BGH DAR 1989, 263). Erst wenn die Beeinträchtigung medizinisch fassbar ist und selbst einen echten Krankheitscharakter aufweist, ist ein Schmerzensgeldanspruch naher Angehöriger gerechtfertigt.

 

Rz. 146

Erfreulicherweise hat der 50. Verkehrsgerichtstag 2012 durch den Arbeitskreis I die Empfehlung ausgesprochen, dass in den Fällen fremdverursachter Tötung eines nahen Angehörigen ein Entschädigungsanspruch für Ehe- und Lebenspartner sowie Eltern und Kindern vom Gesetzgeber zu schaffen ist.

2. Gesetzentwurf zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB n.F.

 

Rz. 147

Am 22.3.2017 hat die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf vorgelegt zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld. Basierend auf der ständigen Rechtsprechung wird ein Schockschaden erst dann bejaht, wenn nach höchstrichterlicher Rechtsprechung psychische Beeinträchtigungen wie Trauer und Schmerz medizinisch fassbar sind und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Hinterbliebene im Todesfall erfahrungsgemäß ausgesetzt sind (grundlegend: BGH v. 11.5.1974 – VI ZR 78/70, BGHZ 56, 163, 165 ff.). Der aktuelle Gesetzesentwurf der Bundesregierung sieht im Fall der fremdverursachten Tötung für Hinterbliebene nun einen eigenen Anspruch auf Hinterbliebenengeld vor (BT-Drucks 18/11615 v. 22.3.2017). Im Fall der fremdverursachten Tötung sieht der Gesetzesentwurf für Hinterbliebene, die zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis standen, einen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung in Geld für das zugefügte seelische Leid gegen den für die Tötung Verantwortlichen vor, der sowohl bei der Verschuldens- als auch bei der Gefährdungshaftung gewährt wird.

 

Rz. 148

Der als neuer Absatz 3 in § 844 BGB voraussichtlich einzufügende Absatz lautet:

Zitat

"Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war." (BT-Drucks 18/11397).

Ggf. kann dieser Kreis maßvoll erweitert werden, insbesondere um Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften und Geschwister, wobei hier eine Begrenzung auf minderjährige Geschwister oder solche, die in einem gemeinsamen Haushalt mit dem Getöteten gelebt hatten, vorgesehen ist.

 

Rz. 149

Das Ziel der neuen Regelung ist, auch Hinterbliebenen unterhalb der Schockschadensschwelle einen Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld zuzusprechen. Damit kommt es nicht mehr darauf an, ob ein Hinterbliebener psychische Beeinträchtigungen durch den Todesfall erlitten hat, die medizinisch fassbar sind und über gesundheitliche Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Hinterbliebene im Todesfall gewöhnlich ausgesetzt sind. Ausreichend ist das besondere Näheverhältnis, in dem die Hinterbliebenen zu dem Getöteten standen.

 

Rz. 150

Zu diskutieren wird in der Folge wohl dann sein, ob und inwieweit einem Hinterbliebenen außerhalb des Anspruchs auf das gesetzliche Hinterbliebenengeld noch ein weiterer Schmerzensgeldanspruch zusteht, wenn ein Schockschaden im Sinne der bisherigen Rechtsprechung nachgewiesen ist. Denkbar sind hier insbesondere Schockschäden, in deren Folge ein naher Angehöriger erhebliche seelische Verletzungen davon getragen hat, die es ihm nicht mehr gestatten, z.B. seiner Erwerbstätigkeit im bisherigen Umfang nachzugehen. Zu denken ist hier an die Fälle, in denen Kinder im Beisein ihrer Eltern z.B. bei einem Verkehrsunfall getötet werden. Daneben sind selbstverständlich weitere Sachverhaltskonstellationen denkbar. Soll in einem solchen Fall tatsächlich der Anspruch auf ein eigenes Schmerzensgeld der jeweiligen Elternteile im Anspruch auf Hinterbliebenengeld "aufgehen"? Nach unserer Auffassung kann dies nicht von den Motiven des Gesetzentwurfes gedeckt sein. Die Motivation des Gesetzgebers liegt vielmehr darin, den Hinterbliebenen, deren Schmerz über den Tod eines nahen Angehörigen sich unterhalb der bisherigen "Schockschadensschwelle" bewegt, gleichwohl einen Entschädigungsanspruch zuzusprechen. Das darf na...

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