I. Typische Sachverhalte
Rz. 28
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Der Mandant ist wegen einer Verfolgung durch die Taliban aus Afghanistan geflüchtet und hat unter Verweis auf eine interne Schutzalternative einen negativen Asylbescheid erhalten. |
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Die Mandantin aus Somalia will aus Angst vor einer Genitalbeschneidung nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren und fragt nach den Chancen in einem Asylverfahren. |
II. Rechtliche Grundlagen
Rz. 29
Die rechtliche Grundlage für das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 AsylG. Die Definition beruht zum einen auf Art. 1A Nr. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention und ist zum anderen an den Vorgaben der unionsrechtlichen Qualifikationsrichtlinie orientiert.
Demnach unterliegt die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft sechs Voraussetzungen:
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Erstens muss sich die Person außerhalb des Herkunftslandes befinden (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG). |
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Zweitens muss eine Verfolgung durch einen relevanten Verfolgungsakteuer drohen (§ 3a und § 3c AsylG). |
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Drittens muss die Verfolgung auf einem einschlägigen Verfolgungsgrund (Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) beruhen (§ 3b AsylG); |
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Viertens muss eine begründete Furcht im Wege einer Verfolgungsprognose bestehen. |
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Fünftens ist das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft ausgeschlossen, wenn ein effektiver Schutz im Herkunftsstaat besteht (§ 3e AsylG). |
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Sechstens dürfen keine Ausschlussgründe nach § 3 Abs. 2 AsylG bzw. § 3 Abs. 4 i.V.m. § 60 Abs. 8 AufenthG vorliegen. |
Rz. 30
Das Vorliegen einer Verfolgung verlangt eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung oder eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, die in ihrer Gesamtheit besonders gravierend wirken (§ 3a Abs. 1 Nr. 1, 2 AsylG). § 3a Abs. 2 AsylG konkretisiert insofern durch die Aufzählung von Regelbeispielen, wann von einer besonders schweren Menschenrechtsverletzung auszugehen ist: Dazu zählen etwa die Anwendung von physischer oder psychischer Gewalt, diskriminierende Maßnahmen, die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, oder Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
Rz. 31
Relevante Verfolgungsakteure können nach § 3c AsylG der Staat oder Parteien oder Organisationen sein, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, aber auch nichtstaatliche Akteure, sofern kein effektiver staatlicher Schutz gegeben ist.
Rz. 32
Der Verfolgungsgrund, der in § 3b AsylG konkretisiert wird, muss nicht tatsächlich bei der Person vorliegen, sondern es ist entscheidend, ob das Merkmal – also etwa eine oppositionelle Haltung – der Person von dem Verfolgungsakteur zugeschrieben wird. Der Verfolgungsgrund der "bestimmten sozialen Gruppe" ist in der Geschichte des Flüchtlingsrechts von besonderer Offenheit geprägt und hat dabei zu einer weitreichenden Fortentwicklung des Flüchtlingsbegriffs beigetragen, indem etwa nunmehr unumstritten eine sexuelle Orientierung ein einschlägiger Verfolgungsgrund sein kann.
Rz. 33
Im Asylverfahren muss prognostiziert werden, ob der Antragsteller im Fall einer Rückkehr eine Verfolgung befürchten muss. Ist eine Person nachweislich nach einer Verfolgung, also vorverfolgt, ausgereist, wird dies im Wege einer Beweislastumkehr grundsätzlich angenommen und nur dann ausgeschlossen, wenn stichhaltige Gründe dagegen sprechen (Art. 4 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie).
Rz. 34
Sogleich führt eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr nur zu einer Anerkennung, wenn kein anderweitiger effektiver Schutz im Herkunftsstaat besteht (§ 3e AsylG). Ein effektiver Schutz wird hingegen bejaht, wenn in einem bestimmten Gebiet Verfolgungsfreiheit besteht, dieses Gebiet erreichbar ist und ein Leben in diesem Gebiet auch zumutbar ist, wobei ein Dahinvegetieren unterhalb des Existenzminimums nicht zumutbar ist.
Rz. 35
In gravierenden Fällen kann trotz Vorliegens dieser Voraussetzungen die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verneint werden: Gem. § 3 Abs. 2, 3 AsylG sowie § 3 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 8 AufenthG wird dies u.a. angenommen bei schweren Straftaten wie Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Zu berücksichtigen ist derweil, dass diese Ausschlüsse nicht per se zur Zulässigkeit einer Abschiebung führen, sondern zunächst den Flüchtlingsstatus ausschließen, während etwa im Fall einer drohenden Folter entgegen des absolut geltenden Art. 3 EMRK sich dennoch eine Rückführung verbietet und der Antragsteller nach deutschem Recht ausweislich eines Abschiebungsverbots (§ 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG) eine Duldung erhalten muss.
Rz. 36
Gegenüber der Flüchtlingseigenschaft hat das Asylrecht nach Art. 16a GG, welches ebenfalls Teil des asylrechtlichen Prüfprogramms ist, nurmehr eine untergeordnete Bedeutung. Dies hat mit seiner teils eingeschränkteren Auslegung gegenüber dem unionsrechtlich geprägten Flüchtlingsbegriff ...