I. Typische Sachverhalte
Rz. 42
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Der Mandant aus Russland befindet sich wegen einer diagnostizierten Posttraumatischen Belastungsstörung in psychiatrischer Behandlung und bittet um rechtliche Vertretung in seinem Asylverfahren. |
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Bei der Mandantin aus Armenien, deren Asylantrag bereits abgelehnt wurde, wurde ein schwerer Tumor diagnostiziert und sie fragt, ob sie nun in Deutschland blieben kann. |
II. Rechtliche Grundlagen
Rz. 43
Die vom BAMF in jedem Asylverfahren (§ 24 Abs. 2 AsylG) ggf. nachrangig oder kraft eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 3 AufenthG zu prüfenden Abschiebungsverbote werden als nationale Abschiebungsverbote bezeichnet, da sie – im Gegensatz zur Flüchtlingsanerkennung und zum subsidiären Schutz – keinen unmittelbaren Ursprung im Unionsrecht haben. Die entsprechende Entscheidung des BAMF ist gem. § 42 AsylG für die zuständige Ausländerbehörde bindend.
Rz. 44
§ 60 Abs. 5 AufenthG rekurriert auf die Bestimmungen der EMRK. Besondere Relevanz haben in diesem Zusammenhang Art. 2 Abs. 1 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter und unmenschlicher Behandlung) und Art. 6 EMRK (Recht auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren). Daneben können u.a. Art. 4 EMRK (Verbot der Sklaverei und Zwangsarbeit), Art. 7 EMRK (keine Strafe ohne Gesetz), Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens), Art. 9 EMRK (Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit) und Art. 10 EMRK (Recht auf freie Meinungsäußerung) oder Art. 12 EMRK (Recht auf Eheschließungsfreiheit) ein Abschiebungsverbot nach sich ziehen. Die historische Grundlage dieses Zusammenspiels zwischen dem Migrationsrecht und der an sich nur die europäischen Konventionsstaaten bindenden EMRK ist die Entscheidung des EGMR im Soering-Urteil, wonach sich eine Abschiebung oder Auslieferung dann nach der EMRK verbietet, wenn im Zielstaat, der nicht zwingend Konventionsstaat sein muss, eine menschenrechtswidrige Behandlung droht.
Rz. 45
Das Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG verlangt eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit und ist insbesondere bei Erkrankungen von Bedeutung. § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG konkretisiert insofern, dass eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vorliegt "bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden". § 60 Abs. 7 S. 5 AufenthG normiert daneben, dass der Antragsteller auf eine alternative Versorgung in einem anderen Teil des Zielstaates verwiesen werden kann.
Rz. 46
Durch § 60 Abs. 7 S. 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c S. 2, 3 AufenthG werden schließlich die Anforderungen an den Nachweis von Erkrankungen konkretisiert. Diese formalen und materiellen Voraussetzungen statuieren gravierend hohe Hürden für Antragsteller, für die es aus soziokulturellen, zeitlichen und sprachlichen Gründen erfahrungsgemäß schwer bis unmöglich ist, entsprechende Nachweise vorzulegen – nicht zuletzt bei fluchtspezifischen psychischen Erkrankungen wie einer Posttraumatischen Belastungsstörung, deren Diagnose Zeit verlangt und bei der der zweifelsfreie Nachweis einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung im Verfahren beim BAMF fast nie und in gerichtlichen Verfahren nur selten gelingt. Praktisch ist es daher besonders wichtig, als anwaltliche Vertretung mit den zuständigen Ärzten in Kontakt zu treten, um sie auf die formalen Voraussetzungen der Nachweise hinzuweisen.
Rz. 47
Ergeht ein Bescheid, mit dem das Vorliegen eines Abschiebungsverbots festgestellt wird, kann die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 3 AufenthG unter den dort genannten Voraussetzungen erfolgen, wobei auch hier von den Erteilungsvoraussetzungen von § 5 Abs. 1, 2 AufenthG abzusehen ist (§ 5 Abs. 3 AufenthG).
III. Checkliste
Rz. 48
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Liegen bereits Nachweise über eine Erkrankung vor? |
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Entsprechen die Nachweise den gesetzlichen Vorgaben? |
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Befindet sich der Kläger in ärztlicher Behandlung? |
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Liegt eine Schweigepflichtentbindung vor, um mit den behandelnden Ärzten in Kontakt zu treten? |
IV. Muster: Klage auf Feststellung eines Abschiebungsverbots
Rz. 49
Muster 6.4: Klage auf Feststellung eines Abschiebungsverbots
Muster 6.4: Klage auf Feststellung eines Abschiebungsverbots
Verwaltungsgericht Karlsruhe
Nördliche Hildapromenade 1
76133 Karlsruhe
per beA
Klage
der _____, geb. am _____, wohnhaft _____
– Klägerin –
Prozessbevollmächtigte: _____
gegen
die Bundesrepublik Deutschland, diese vertreten durch den Bundesminister des Innern, dieser vertreten durch den Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in 90343 Nürnberg,
– Beklagte –
wegen: Asylrecht
Namens und in Vollmacht der Klägerin – Vollmacht anbei – erheben wir Klage und beantragen,
die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom _____ zum Gz. _____, zugestellt am _____, zu verpflichten, ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1 AufenthG festzustellen.
Daneben beantragen wir
Akteneinsicht in jegliche Verwaltungsvorgänge der Beklagten
und bitten um die Übersendung in unser Büro.
Die Klage begründen wir zunächst wie ...