Rz. 22
Das sog. Dublin-Verfahren fußt auf der unionsrechtlichen Dublin III-VO, die festlegt, welcher der insgesamt 31 Mitgliedstaaten – neben den Staaten der Europäischen Union nehmen die Schweiz, Island, Liechtenstein und Norwegen an dem System teil – für die materielle Prüfung eines Asylverfahrens zuständig ist. Es handelt sich damit um eine dem BAMF obliegende und dem auf den Herkunftsstaat bezogenen Asylverfahren vorgeschaltete Prüfung auf der Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Welcher Staat zuständig ist, ergibt sich aus dem Zuständigkeitskatalog der Art. 8 ff. Dublin III-VO. Neben Sonderregeln für Minderjährige – die grundsätzlich in dem jeweiligen Staat verbleiben können (Art. 8 Dublin III-VO) – und für Personen, die Familienangehörige in einem anderen Staat haben (Art. 9 bis 11 Dublin III-VO), regelt Art. 13 Dublin III-VO den praktisch relevantesten Auffangtatbestand des Prinzips des Ersteinreisestaates: Demnach ist derjenige Staat für das Asylverfahren zuständig, den der Antragsteller zuerst im Dublin-Raum betreten hat. Die Feststellung dieser Zuständigkeit stützt sich insbesondere aus dem Abgleich von Fingerabdrücken mithilfe der Eurodac-Datenbank auf der Grundlage der Eurodac-VO. Daneben sieht Art. 3 Abs. 2 S. 2 Dublin III-VO vor, dass die Zuständigkeit eines Staates entfällt, wenn "wesentliche Gründe für die Annahme [sprechen], dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU–Grundrechtecharta mit sich bringen". Wenn zwar keine grundsätzlich defizitären Mängel vorliegen, der Person aber nachweislich individuell Gefahren drohen, die gegen das Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung nach Art. 3 EMRK und Art. 4 EU-GrCh verstoßen, ist der jeweilige Aufenthaltsstaat verpflichtet, das Verfahren im Wege des sog. Selbsteintrittsrechts zu übernehmen.
Rz. 23
Die Dublin III-VO sieht daneben ein bestimmtes Verfahren vor für die Klärung der Zuständigkeit und der Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person. Damit einher gehen entsprechende Fristen für die Stellung eines Aufnahmegesuchs, die Antwort des betreffenden Zielstaates und die Überstellung. Besonders praxisrelevant ist die Überstellungsfrist gem. Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO: Die Überstellung muss demnach innerhalb von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmegesuchs erfolgen, anderenfalls geht die Zuständigkeit auf den Aufenthaltsstaat über, eine Überstellung wäre rechtswidrig und das Asylverfahren muss materiell geprüft werden.
Rz. 24
Mittlerweile ist anerkannt, dass sich die Antragsteller auf die rechtmäßige Anwendung sowohl der Zuständigkeitsvorschriften als auch der Verfahrensvorschriften berufen können. Der EuGH hat wiederholt festgestellt, dass auch die Verfahrensvorschriften nicht nur einer effektiven Durchführung des Verfahrens im Verhältnis der Mitgliedstaaten dienen, sondern zugleich individualschützend sind.
Rz. 25
Zu berücksichtigen ist schließlich, dass die Dublin III-VO keine Anwendung findet, wenn der Antragsteller in dem jeweils anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz – in Form von Flüchtlingsschutz oder subsidiärem Schutz – erhalten hat. In diesem Fall richtet sich die mögliche Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, wobei auch in diesem Fall sich die Abschiebung verbietet und mithin der Antrag nicht als unzulässig abgelehnt werden darf, wenn in dem Zielstaat Zustände drohen, die Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GrCh widersprechen.