Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 5
Auf die Rechtslage aus deutscher Sicht (und damit aus Sicht der ErbVO) kommt es auch zukünftig an, wenn der Erblasser Vermögen in Deutschland hinterlässt.
Die Internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte (zur Erteilung sowohl des ENZ als auch des deutschen Erbscheins) ergibt sich aus Art. 10 ErbVO: Sofern die Verlegung des Aufenthalts aus Deutschland nach Algerien innerhalb der letzten fünf Jahre vorgenommen wurde gilt § 10 Abs. 1b ErbVO (deutsche Zuständigkeit für den gesamten Nachlass), war das nicht der Fall, gilt Art. 10 Abs. 2 ErbVO (deutsche Zuständigkeit für das in Deutschland befindliche Vermögen). Die Zuständigkeit deutscher Gerichte zur Erteilung eines deutschen Erbscheins ist ferner nach § 105 FamFG in Verbindung mit § 343 n.F. FamFG selbst dann gegeben, wenn sich die Zuständigkeit nicht aus der ErbVO ergäbe (der Erblasser also zum Beispiel seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hätte) (vgl. § 2 Rn 25).
Rz. 6
Für die Frage des anwendbaren Rechts gilt allein die ErbVO, nicht mehr das EGBGB (konsequent sieht der deutsche Gesetzgeber die Aufhebung von Art. 17b Abs. 1 S. 2 im EGBGB n.F. vor).
Die ErbVO regelt keine Hilfsanknüpfung entsprechend dem früheren Art. 17 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 EGBGB, maßgeblich ist stets allein das Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts (bzw. das gewählte Heimatrecht), nicht dagegen das Recht des Staates, in dem die Lebenspartnerschaft registriert worden ist. Dieses Recht – Registerstaat – ist nach der ErbVO auch als solches gar nicht wählbar (sondern nur, sofern es mit dem Heimatrecht des Erblassers übereinstimmt). Unter Geltung der ErbVO käme es also im Beispiel nicht zur Anknüpfung an das deutsche Recht als das Recht des Register führenden Staates. Das deutsche Recht wäre nur berufen, wenn die Lebenspartner weiter ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt hätten (oder die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen hätten, dann hätte deutsches Recht als Heimatrecht gewählt werden können).
Rz. 7
Das zuständige deutsche Gericht, welches gem. Art. 21 ErbVO algerisches Recht zugrunde legen muss, wird prüfen, ob die Versagung des gesetzlichen Erbrechts einen Verstoß gegen den ordre public der ErbVO bedeutet (Art. 35 ErbVO); bejahendenfalls könnte das Gericht dann z.B. die Regelungen des algerischen Rechts für Ehegatten übernehmen und auf den eingetragenen Lebenspartner übertragen. Die Ungleichbehandlung weiblicher Erben im islamischen Rechtskreis (ihre Quote ist geringer als die männlicher Erben) ist in Deutschland als ordre public Verstoß anerkannt (Verstoß gegen Art 6 EGBGB).
Rz. 8
Für die Annahme eines Verstoßes gegen den ordre public der ErbVO spricht folgender Gesichtspunkt: Aus Erwägensgrund 58 der ErbVO ergibt sich, dass der ordre public Vorbehalt (der ErbVO) nicht eingesetzt werden darf, um Ergebnisse zu erzielen, die dem Diskriminierungsverbot der Charta der Grundrechte der EU zuwiderlaufen. Daraus wird – e contrario – gefolgert, dass der Einsatz des ordre public mit dem Ziel, solche Diskriminierungen zu vermeiden, im Sinne der ErbVO geradezu willkommen ist.
Rz. 9
Auch wenn man davon ausgehen kann, dass sich nach Anwendbarkeit der ErbVO die Ansicht durchsetzen wird, einen Verstoß gegen den Art. 35 ErbVO (ordre public) in derartigen Fällen anzunehmen, empfiehlt sich schon "sicherheitshalber", ausdrückliche Regelungen zu treffen. Um die Erbfolge zuverlässig festzulegen, ist eingetragenen Lebenspartnern immer die Errichtung einer Verfügung von Todes wegen anzuraten, insbesondere in den Fällen, in denen die eingetragenen Lebenspartner nicht das Recht des Register führenden Staates als maßgebliches Erbrecht wählen können, weil sie nicht die Staatsangehörigkeit dieses Landes besitzen.