Rz. 29

Der in der Praxis wichtigste Fall einer unmittelbar zu bewertenden Versorgung ist die gesetzliche Rentenversicherung. Auf diesen Umstand weist der Gesetzgeber durch die Verwendung des Begriffs der Entgeltpunkte in § 39 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG hin. Außerdem ordnet § 43 Abs. 1 VersAusglG die Geltung der unmittelbaren Bewertung für die Anrechte der gesetzlichen Rentenversicherung noch einmal ausdrücklich an.

 

Rz. 30

Das Rechensystem der gesetzlichen Rentenversicherung bilden die individuellen Entgeltpunkte. Wie hoch eine Rente eines gesetzlich Rentenversicherten ist, ergibt sich aus der Multiplikation der individuellen Entgeltpunkte mit dem zzt. des Renteneintritts geltenden aktuellen Rentenwert (eine Übersicht über die aktuellen Rentenwerte findet sich unten, siehe § 12 Rdn 91) und dem Zugangsfaktor.

 

Rz. 31

Die individuellen Entgeltpunkte ergeben sich aus dem Verhältnis des individuellen sozialversicherungspflichtigen Bruttoentgelts zu dem Durchschnittsentgelt, das alle in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherten Personen in einem Jahr erzielt haben. Dieses wird jährlich neu errechnet und von der gesetzlichen Rentenversicherung bekannt gegeben.

 

Rz. 32

 

Beispiel

M hatte im Jahr 2008 ein rentenversicherungspflichtiges Bruttoeinkommen von 35.620,00 EUR. Das Durchschnittsentgelt aller Versicherten betrug in diesem Jahr 30.084,00 EUR. Teilt man 35.620,00 EUR durch 30.084,00 EUR ergibt sich ein Wert von 1,1840. Das sind die Entgeltpunkte, welche M 2008 erworben hat.

 

Rz. 33

Mehr als zwei Entgeltpunkte kann niemand pro Jahr in der gesetzlichen Rentenversicherung erwerben; denn der doppelte Wert des Vorjahres bildet immer die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung.

 

Rz. 34

Der aktuelle Rentenwert (§ 68 SGB VI) wird in jedem Jahr zum 1.7. durch Rechtsverordnung der Bundesregierung neu festgesetzt. Er beträgt zzt. (erstes Halbjahr 2016) in den alten Bundesländern 29,21 EUR und im zweiten Halbjahr 2016 30,45 EUR (in den neuen Bundesländern 27,05 EUR bzw. 28,66 EUR). Er hat heute für den Versorgungsausgleich keine direkte Bedeutung mehr, denn geteilt werden heute keine Rentenbeträge mehr, sondern direkt die ehezeitlich erworbenen Entgeltpunkte. Auch bei der Beurteilung der Geringfügigkeit nach § 18 VersAusglG kommt es auf die aktuellen Rentenwerte nicht mehr an, da die gesetzliche Rentenversicherung mit Entgeltpunkten rechnet und nicht mit Rentenbeträgen (wie z.B. die Beamtenversorgung), sodass es für die Beurteilung der Geringwertigkeit nicht auf den Rentenbetrag, sondern auf den korrespondierenden Kapitalwert ankommt. Gleichwohl ist für die Beratungspraxis die Kenntnis des aktuellen Rentenwerts wichtig, denn den Mandanten interessiert im Regelfall in erster Linie, wie sich der Versorgungsausgleich auf den Zahlbetrag seiner Rente auswirken wird.

 

Rz. 35

 

Beispiel

Im vorausgegangenen Beispiel Rdn 32 würde sich im Juli 2016 aus den 1,1840 Entgeltpunkten des M eine Rente von 36,05 EUR mtl. ergeben, wenn M in den alten Bundesländern erwerbstätig war und eine Rente von 33,93 EUR, wenn er in den neuen Bundesländern erwerbstätig war.

 

Rz. 36

Der Zugangsfaktor (§ 77 SGB VI) ist die dritte relevante Rechengröße für die Berechnung der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung. Er regelt, in welchem Umfang die Entgeltpunkte bei der Bemessung der monatlichen Rente in die Berechnung eingehen. Er bestimmt, inwieweit bei vorgezogener oder verspäteter Inanspruchnahme einer Rente Zu- oder Abschläge bei der Rentenhöhe gemacht werden müssen. Für jeden Monat, in dem eine Rente vorzeitig (zu den Altersgrenzen, die bei der Altersrente derzeit vom 65. auf das 67. Lebensjahr ansteigen, siehe im Einzelnen § 9 Rdn 50) in Anspruch genommen wird, ist sie um 0,3 % zu kürzen (insgesamt aber nicht um mehr als 18,2 % – entsprechend 60 Monaten), bei Renteneintritt nach der maßgeblichen Altersgrenze ist sie dagegen für jeden Monat des verspäteten Renteneintritts um 0,5 % zu erhöhen (ohne Obergrenze). Dieser Zugangsfaktor ist wegen des eindeutigen Wortlauts des § 39 VersAusglG, der nur von den individuellen Entgeltpunkten spricht, für den Versorgungsausgleich irrelevant. Insoweit hat sich die Rechtslage geändert, da der BGH früher jedenfalls dann, wenn eine Rente schon bezogen wurde, auch bei der Berechnung des Versorgungsausgleichs von den gekürzten bzw. erhöhten Beträgen ausging.[2] Daraus folgt, dass das Versorgungsanrecht ohne Rücksicht auf den Zugangsfaktor ausgeglichen wird.[3] Das kann dazu führen, dass dem Ausgleichspflichtigen nach dem Ausgleich weniger verbleibt als der Ausgleichsberechtigte hat. Das beruht aber letztlich auf seinem Entschluss, bereits vorzeitig vorgezogenes Altersruhegeld in Anspruch zu nehmen und damit in den Genuss eines verlängerten Rentenbezugs zu kommen. Aus einer Rentenkürzung, die der Ausgleichspflichtige infolge eines durch vorzeitigen Renteneintritt geminderten Zugangsfaktors hinzunehmen hat, ergeben sich deswegen keine grob unbilligen Härten. Das Ergebnis ist deswegen grds. nicht nach § 27 Vers...

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