I. Legitimationswirkungen
Rz. 15
Das ENZ ist mit mehreren Wirkungen versehen:
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Das Zeugnis dient dem Nachweis der Stellung als Erbe bzw. dinglicher Vermächtnisnehmer, der Zuweisung eines bestimmten Vermögenswertes oder der Befugnisse als Testamentsvollstrecker bzw. Nachlassverwalter, Art. 63 Abs. 2 EuErbVO (Beweiswirkung). |
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Es wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass das ENZ diese Umstände zutreffend ausweist, Art. 69 Abs. 2 S. 1 EuErbVO (Beweisfunktion). |
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Ferner wird vermutet, dass die Person, die im Zeugnis als Erbe oder Testamentsvollstrecker genannt ist, diese Rechtsstellung hat, Art. 69 Abs. 2 S. 2 EuErbVO (Legitimationswirkung). |
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Wer gutgläubig an eine im ENZ als zur Entgegennahme der Leistung bezeichnete Person leistet, wird von seiner Verbindlichkeit frei, Art. 69 Abs. 3 EuErbVO. Wer von der Person, die im ENZ als Erbe, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstecker oder Nachlassverwalter genannt ist, Nachlassgegenstände erwirbt, kann gutgläubig erwerben, Art. 69 Abs. 4 EuErbVO (Gutglaubenswirkung). |
Rz. 16
Diese Wirkungen sind aus dem deutschen Erbscheinsrecht bekannt. Eine Abweichung zum deutschen Recht ergibt sich aber daraus, dass Legitimations- und Gutglaubenswirkung des ENZ nicht erst bei "positiver" Kenntnis des Dritten von der Unrichtigkeit (so § 2366 BGB), sondern schon bei grob fahrlässiger Unkenntnis der Unrichtigkeit entfallen (Art. 69 Abs. 3 und 4 EuErbVO). Ob sich diese Abweichung in der Praxis in einer erheblichen Anzahl von Fällen auswirkt, muss sich noch zeigen.
Rz. 17
Insoweit könnte man im deutschen Rechtsverkehr daran denken, das ENZ wegen seiner schwächeren Schutzwirkungen zurückzuweisen und sicherheitshalber auf der Vorlage eines BGB-Erbscheins zu bestehen. Bei Ausstellung des ENZ durch ein deutsches Gericht könnte man zur Rechtfertigung auf Art. 62 Abs. 3 S. 1 EuErbVO verweisen, wonach das ENZ nicht an die Stelle der innerstaatlichen Erbnachweise tritt. Nach Ausstellung eines ENZ zur Verwendung im Ausland entfaltet das ENZ seine Beweis- und sonstigen Wirkungen gem. Art. 62 Abs. 3 S. 2, 69 EuErbVO aber auch im Inland. Das ENZ kann gem. Art. 63 Abs. 2 lit. a EuErbVO zum Nachweis der Rechte jedes Erben verwandt werden und stellt gem. Art. 63 Abs. 5 EuErbVO ein wirksames Schriftstück zur Eintragung in ein Register dar. Aus EG 69 S. 3 EuErbVO ergibt sich, dass eine Person, der ein in einem anderen Mitgliedstaat ausgestelltes ENZ vorgelegt wird, die Vorlage weiterer Nachweise nicht verlangen kann. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass allein bei Vorlage eines im Inland ausgestellten ENZ jemand auf der Vorlage eines BGB-Erbscheins bestehen darf.
Rz. 18
Ist das ENZ dagegen in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden, so würde ein Recht auf Zurückweisung des ENZ nicht nur dem Sinn von Art. 62, 69 EuErbVO widersprechen. Sind nach den Art. 4 ff. EuErbVO die Behörden eines anderen Mitgliedstaates international zuständig, so fehlt den deutschen Nachlassgerichten schon die internationale Zuständigkeit. Daher kann ein BGB-Erbschein schon mangels Zuständigkeit eines deutschen Gerichts für seine Erteilung nicht mehr ausgestellt werden.
II. Voraussetzungen für den Gutglaubensschutz
Rz. 19
Wer sich auf den Schutz des guten Glaubens beruft, muss gem. Art. 69 Abs. 3 und 4 EuErbVO "auf der Grundlage der in dem Zeugnis enthaltenen Angaben" gehandelt haben. Ihm muss also der Inhalt des ENZ – z.B. über eine von der Behörde ausgestellte Abschrift – bekanntgemacht worden sein (konkreter Gutglaubensschutz). Nach der deutschen Rechtsprechung zum BGB-Erbschein hingegen genügt es für den Gutglaubensschutz des Erbscheins, dass ein entsprechender Erbschein überhaupt ausgestellt worden ist. Der Dritte muss also den Inhalt des Erbscheins nicht einmal kennen, um geschützt zu werden (abstrakter Gutglaubensschutz).
Rz. 20
Unklar bleibt dabei, was im Einzelnen Träger des guten Glaubens sein soll. Art. 69 Abs. 3, 4 EuErbVO verlangt ein Handeln "auf der Grundlage der in dem Zeugnis enthaltenen Angaben". Nachdem...