I. Allgemeines
Rz. 83
Bei der Anrechnung nach § 2315 BGB muss sich der Pflichtteilsberechtigte eine lebzeitige Zuwendung auf seinen Pflichtteilsanspruch anrechnen lassen, sofern der Erblasser die Zuwendung mit einer entsprechenden Anrechnungsbestimmung versehen hat. Dabei muss der Erblasser die Anrechnung spätestens im Zeitpunkt der Zuwendung bestimmt haben. Nach § 2315 Abs. 1 BGB muss es sich um eine freigebige Zuwendung des Erblassers handeln. Anders als bei der Ausgleichung nach §§ 2050, 2316 BGB ist eine Anrechnungsfähigkeit der Zuwendung nur dann gegeben, wenn seitens des Erblassers keine Leistungspflicht bestand. Die Zuwendung an den Pflichtteilsberechtigten muss im Rahmen des § 2315 BGB aus dem Vermögen des Erblassers stammen, auch dann, wenn ein sog. Berliner Testament vorliegt. Der sog. erweiterte Erblasserbegriff (siehe Rdn 74 f.) findet hier keine Anwendung. Die Erbfolge der Elternteile ist auch bei Vorliegen eines gemeinschaftlichen Testaments deutlich auseinander zu halten. Jeder der beiden eintretenden Erbfälle löst für den Enterbten einen Pflichtteilsanspruch aus. Daran ändert auch die irrige Vorstellung der Eltern nichts, es gebe nur einen die Kinder begünstigenden Erbfall. Demzufolge müssen sich die Kinder nicht den vollen Wert einer von beiden Eltern erhaltenen Zuwendung auf den Pflichtteil anrechnen lassen, sondern nur dasjenige, was allein von dem letztversterbenden Ehepartner zugewendet worden ist. Dies ist problematisch, wenn der nicht zuwendende Ehegatte zuerst verstirbt. Eine Anrechnungspflicht kann in diesen Fällen nur auf vertraglicher Basis (eingeschränkter Pflichtteilsverzichtsvertrag i.S.v. § 2346 Abs. 2 BGB) zwischen dem nicht zuwendenden Elternteil und dem Abkömmling bewirkt werden.
II. Auswirkung der Anrechnung im Verhältnis zur Ausgleichung
Rz. 84
Im Unterschied zur Ausgleichung erfolgt die Berechnung im Rahmen des § 2315 BGB für jeden Pflichtteilsberechtigten gesondert. Darüber hinaus greift die Anrechnung für alle Pflichtteilsberechtigten ein, also auch bei Zuwendungen unter Ehegatten. Die Anrechnung nach § 2315 BGB verringert daher die Pflichtteilslast insgesamt und führt nicht, wie die Ausgleichung, nur zu einer Umverteilung.
III. Anwendbarkeit des § 2315 BGB
1. Anrechnungsbestimmung
Rz. 85
Die Anwendbarkeit des § 2315 BGB setzt voraus, dass der Erblasser eine Zuwendung mit der Bestimmung gemacht hat, dass diese auf den Pflichtteilsanspruch anzurechnen ist. Zeitlich muss die Anrechnungsbestimmung gleichzeitig mit der Zuwendung dem Empfänger zugehen. Sie kann aber auch vorher (durch Vorbehalt) für eine oder mehrere später beabsichtigte Zuwendungen erfolgen und auch von einer Bedingung abhängig gemacht werden. Nicht möglich ist es nach h.M., die Anrechnungsbestimmung erst nach der Zuwendung zu erklären. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Voraussetzungen einer Pflichtteilsentziehung nach §§ 2333 ff. BGB vorliegen. Der Erblasser und der Beschenkte können aber einvernehmlich eine Anrechnungsbestimmung auch im Nachhinein vereinbaren. Eine solche nachträgliche Vereinbarung zwischen dem Erblasser und dem Pflichtteilsberechtigten muss jedoch in der Form des Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrages erfolgen. Eine nachträgliche Anordnung kann hierneben auch unter den Voraussetzungen der Pflichtteilsentziehung erfolgen. Der Erblasser kann eine einmal getroffene Anrechnungsbestimmung nachträglich formlos oder durch einseitige Verfügung, auch von Todes wegen, wieder aufheben. Bei einer unentgeltlichen Zuwendung an einen Minderjährigen führt die Anrechnungsbestimmung nach der Rspr. des BGH nicht dazu, dass diese i.S.v. § 107 BGB als rechtlich nachteilig zu bewerten ist.
Rz. 86
Für die Annahme einer stillschweigenden Anrechnungsbestimmung i.S.v. § 2315 Abs. 1 BGB ist es erforderlich, dass ein Verhalten des Erblassers feststeht, also unstreitig, zugestanden oder erwiesen ist, das der Empfänger der Zuwendung spätestens bei ihrer Entgegennahme als Bestimmung der Anrechnung deuten musste. Die bloße Zuwendung genügt nicht. Es muss die ausdrückliche oder stillschweigende Anrechnungsbestimmung zu ihr hinzutreten. Dafür, dass der Erblasser eine solche Bestimmung getroffen hatte, spricht auch selbst bei höheren Zuwendungen kein Anscheinsbeweis.