1. Anrechnungsbestimmung
Rz. 85
Die Anwendbarkeit des § 2315 BGB setzt voraus, dass der Erblasser eine Zuwendung mit der Bestimmung gemacht hat, dass diese auf den Pflichtteilsanspruch anzurechnen ist. Zeitlich muss die Anrechnungsbestimmung gleichzeitig mit der Zuwendung dem Empfänger zugehen. Sie kann aber auch vorher (durch Vorbehalt) für eine oder mehrere später beabsichtigte Zuwendungen erfolgen und auch von einer Bedingung abhängig gemacht werden. Nicht möglich ist es nach h.M., die Anrechnungsbestimmung erst nach der Zuwendung zu erklären. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Voraussetzungen einer Pflichtteilsentziehung nach §§ 2333 ff. BGB vorliegen. Der Erblasser und der Beschenkte können aber einvernehmlich eine Anrechnungsbestimmung auch im Nachhinein vereinbaren. Eine solche nachträgliche Vereinbarung zwischen dem Erblasser und dem Pflichtteilsberechtigten muss jedoch in der Form des Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrages erfolgen. Eine nachträgliche Anordnung kann hierneben auch unter den Voraussetzungen der Pflichtteilsentziehung erfolgen. Der Erblasser kann eine einmal getroffene Anrechnungsbestimmung nachträglich formlos oder durch einseitige Verfügung, auch von Todes wegen, wieder aufheben. Bei einer unentgeltlichen Zuwendung an einen Minderjährigen führt die Anrechnungsbestimmung nach der Rspr. des BGH nicht dazu, dass diese i.S.v. § 107 BGB als rechtlich nachteilig zu bewerten ist.
Rz. 86
Für die Annahme einer stillschweigenden Anrechnungsbestimmung i.S.v. § 2315 Abs. 1 BGB ist es erforderlich, dass ein Verhalten des Erblassers feststeht, also unstreitig, zugestanden oder erwiesen ist, das der Empfänger der Zuwendung spätestens bei ihrer Entgegennahme als Bestimmung der Anrechnung deuten musste. Die bloße Zuwendung genügt nicht. Es muss die ausdrückliche oder stillschweigende Anrechnungsbestimmung zu ihr hinzutreten. Dafür, dass der Erblasser eine solche Bestimmung getroffen hatte, spricht auch selbst bei höheren Zuwendungen kein Anscheinsbeweis.
2. Zuwendung an den Pflichtteilsberechtigten
Rz. 87
Die Zuwendung, die auf den Pflichtteil des Zuwendungsempfängers angerechnet werden soll, muss grundsätzlich auch ihm gegenüber erfolgen. Erfolgt die Zuwendung an den Ehegatten des Pflichtteilsberechtigten oder einen Dritten, so genügt dies grundsätzlich nicht, es sei denn, es handelt sich um einen sog. Anweisungsfall, bei dem zwar eine Leistung an einen Dritten erfolgt, der Pflichtteilsberechtigte aber zugleich einen Vermögensvorteil erhält. Erfolgt die Zuwendung durch Vertrag zugunsten Dritter, z.B. im Rahmen der Bezugsberechtigung einer Lebensversicherung, kann eine Anrechnungspflicht getroffen werden, wenn im Valutaverhältnis zum Pflichtteilsberechtigten eine freigebige Zuwendung vorliegt.
Rz. 88
Fällt der Abkömmling, der den anrechnungspflichtigen Vorempfang erhalten hat, vor oder nach dem Erbfall weg, dann trifft die Anrechnungspflicht nach § 2315 Abs. 3 i.V.m. § 2051 Abs. 1 BGB ausnahmsweise denjenigen Abkömmling des Erblassers, der an die Stelle des Weggefallenen tritt.