Rz. 96
Die Anrechnung der freigebigen Zuwendung nach § 2315 BGB betrifft grundsätzlich nur die Anrechnung auf den ordentlichen Pflichtteil. Im Pflichtteilsergänzungsrecht gibt es dafür die Parallelvorschrift des § 2327 BGB, der auch ohne Erblasserbestimmung eingreift. Hat der Ergänzungsberechtigte ein Eigengeschenk erhalten, welches zugleich nach § 2315 BGB auf den Pflichtteil anzurechnen ist, dann darf dieses nicht noch einmal im Rahmen des § 2327 BGB voll zur Anrechnung gelangen. Beim Zusammentreffen der Anrechnung nach § 2315 BGB und der Anrechnung des Eigengeschenks nach § 2327 BGB ist die lebzeitige Zuwendung nur auf den Gesamtpflichtteil anzurechnen. Die Anrechnung darf – was sich letztlich auch aus der Vorschrift des § 2327 Abs. 1 S. 2 BGB ergibt – nur einmal erfolgen.
Rz. 97
Für die Berechnung ist zunächst die Summe aller unter den Ergänzungsanspruch fallenden Zuwendungen zu ermitteln, einschließlich des anrechenbaren Eigengeschenks. Diese sind dann zum realen Nachlass hinzuzuaddieren. Aus dem sich hieraus ergebenden Gesamtpflichtteil ist schließlich das anrechenbare Eigengeschenk in voller Höhe in Abzug zu bringen. Bei der Berechnung sollte wie folgt vorgegangen werden:
Beispiel
Der verwitwete Erblasser E hinterlässt ein Kind K und einen Nachlass i.H.v. 200.000 EUR. E setzt seine Freundin F zur Alleinerbin ein. E hat kurz vor seinem Tod sowohl dem G ein Geschenk i.H.v. 100.000 EUR wie auch dem K ein Geschenk i.H.v. 200.000 EUR gemacht. K muss sich das Geschenk aber nach § 2315 BGB auf seinen Pflichtteil anrechnen lassen. Wie hoch ist der Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch von K?
Der Pflichtteilsanspruch von K ist hier zunächst als Gesamtpflichtteil von Ergänzungs- und ordentlichem Pflichtteil zu berechnen. Die Summe aller Geschenke beträgt 300.000 EUR. Hierzu ist der reale Nachlass von 200.000 EUR zu addieren. Bei einer Pflichtteilsquote von ½ steht dem K ein Gesamtpflichtteil i.H.v. 250.000 EUR zu. Sodann ist hiervon das Eigengeschenk i.H.v. 200.000 EUR abzuziehen. Es verbleibt schließlich ein Ergänzungsanspruch von 50.000 EUR. Das Geschenk hat sich nun auch auf den ordentlichen Pflichtteil ausgewirkt, da dieser 100.000 EUR betragen würde.
Rz. 98
Schwierigkeiten können sich in der Praxis ergeben, wenn es um die Frage geht, in welcher Reihenfolge ein nach § 2315 BGB anrechnungspflichtiges Geschenk auf den Gesamtpflichtteil anzurechnen ist. Nach § 2327 Abs. 1 S. 2 BGB muss sich der Pflichtteilsberechtigte ein nach § 2315 BGB anrechnungspflichtiges Geschenk auf den Gesamtbetrag von ordentlichem Pflichtteil und Pflichtteilsergänzungsanspruch anrechnen lassen. Die Reihenfolge der Anrechnung ist im Gesetz nicht geregelt.
Rz. 99
Einigkeit besteht dahingehend, dass eine Doppelanrechnung nicht erfolgen darf. Umstritten ist, ob das Eigengeschenk vom ordentlichen Pflichtteil oder vom Ergänzungspflichtteil abzuziehen ist.