1. Allgemeines
Rz. 100
Die Vorschrift des § 2316 Abs. 4 BGB regelt den Fall, dass eine lebzeitige Zuwendung nach §§ 2050 ff., 2316 BGB auszugleichen und zugleich nach § 2315 BGB auf den Pflichtteil anzurechnen ist. Zur Vermeidung einer doppelten Berücksichtigung ist nach § 2316 Abs. 4 BGB bezüglich einer Anrechnung nach § 2315 BGB nur der hälftige Betrag des Vorempfangs heranzuziehen. Die Vorschrift des § 2316 Abs. 4 BGB kommt aber nur dann zum Tragen, wenn eine Ausgleichung nach § 2316 BGB und die Anrechnung nach § 2315 BGB bei ein und derselben Person zusammenfallen.
2. Berechnung, wenn nur Abkömmlinge vorhanden sind
Rz. 101
Bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs ist in diesem Fall nach §§ 2050, 2316 BGB zunächst der Ausgleichungsnachlass zu bilden und daraus der Ausgleichungspflichtteil zu berechnen. Danach ist in einem zweiten Schritt die (ausgleichungs- und) anrechnungspflichtige Zuwendung mit dem hälftigen Betrag von dem zuvor nach den §§ 2050, 2316 BGB berechneten Ausgleichungspflichtteil abzuziehen. Nachfolgendes Beispiel verdeutlicht dies:
Beispiel
Der Erblasser E hinterlässt einen Nachlass i.H.v. 200.000 EUR. Seine Ehefrau F ist bereits vorverstorben. Mit dieser hatte der Erblasser zwei Kinder, den Sohn S und die Tochter T. Der Sohn S hat eine ausgleichungspflichtige Schenkung nach § 2050 Abs. 3 BGB i.H.v. 100.000 EUR erhalten, die zugleich nach § 2315 BGB auf den Pflichtteil anzurechnen ist. Der Erblasser E hat zur Alleinerbin die Tochter T bestimmt. Der Pflichtteil des Sohnes S berechnet sich nun wie folgt:
Nachlass |
200.000 EUR |
zzgl. Vorempfang |
100.000 EUR |
ergibt einen Ausgleichungsnachlass von |
300.000 EUR |
Der Ausgleichungserbteil von S beträgt danach |
150.000 EUR |
abzgl. Vorempfang von |
100.000 EUR |
ergibt dies einen Ausgleichungserbteil von |
50.000 EUR |
und somit einen Ausgleichungspflichtteil von |
25.000 EUR |
Hiervon ist nun wiederum der hälftige Vorempfang von |
100.000 EUR |
= |
50.000 EUR |
in Abzug zu bringen, so dass ein Pflichtteilsanspruch der Höhe nach nicht mehr besteht.
3. Berechnung, wenn noch Ehepartner vorhanden sind
Rz. 102
Eine bislang unbefriedigende Lösung erhält man, wenn eine Zuwendung an Abkömmlinge ausgleichungspflichtig und zugleich nach § 2315 BGB anrechnungspflichtig ist und neben den Abkömmlingen noch ein überlebender Ehepartner vorhanden ist. In diesen Fällen kommt es, da der Anteil des Ehepartners bei der Ausgleichung vorab in Abzug zu bringen ist, zu einem ungewollten Ergebnis. Der auf den Ausgleichungserbteil angerechnete Vorempfang wird in diesem Fall nur hälftig berücksichtigt. Es kann daher zu dem Ergebnis kommen, dass eine Vornahme der Ausgleichung nach § 2316 Abs. 4 BGB und eine hälftige Anrechnung des Vorempfangs auf den so ermittelten Pflichtteil zu einem höheren Pflichtteil des Abkömmlings führt als in dem Fall, in dem nur eine Anrechnung auf den Pflichtteil nach § 2315 BGB vorgenommen wird. Folgendes Beispiel verdeutlicht dies:
Beispiel
Der Erblasser ist im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratet. Er hat zwei Abkömmlinge, A und B, und seine Ehefrau zur Alleinerbin eingesetzt. Der Nachlass hat einen Wert von 700.000 EUR. Das Kind B hat einen Vorempfang, der zugleich ausgleichungs- und anrechnungspflichtig ist, i.H.v. 100.000 EUR erhalten.
Die Berechnung des Pflichtteils von B ist nun wie folgt vorzunehmen:
Nachlass |
700.000 EUR |
abzgl. ½ Erbteil Ehegatte = |
350.000 EUR |
zzgl. Vorempfang |
100.000 EUR |
ergibt |
450.000 EUR |
geteilt durch 2 Abkömmlinge = Ausgleichungserbteil von |
225.000 EUR |
abzgl. Vorempfang von B |
100.000 EUR |
ergibt einen Betrag von |
125.000 EUR |
hieraus ½ Pflichtteil |
62.500 EUR |
Anrechnung nach § 2316 Abs. 4 BGB |
des hälftigen Vorempfangs von 50.000 EUR = |
12.500 EUR |
Würde man nur eine Anrechnung nach § 2315 BGB vornehmen, so würde man zu folgendem Ergebnis kommen: |
Nachlass |
700.000 EUR |
zzgl. Vorempfang |
100.000 EUR |
ergibt einen Anrechnungsnachlass von |
800.000 EUR |
hieraus ⅛ Pflichtteil |
100.000 EUR |
abzgl. Vorempfang nach § 2315 BGB |
100.000 EUR |
ergibt |
0 EUR |
Rz. 103
Die Tatsache, dass der Erblasser eine Ausgleichungs- und Anrechnungspflicht getroffen hat, führt hier dazu, dass der Pflichtteilsanspruch des B höher ist, als wenn nur eine Anrechnung nach § 2315 BGB vorgenommen worden wäre.
Rz. 104
Praxishinweis
Sinn und Zweck der Anrechnungsbestimmung des § 2315 BGB ist, dass der Erblasser mit einer anrechnungspflichtigen lebzeitigen Zuwendung eine weitestgehende Testier- und Gestaltungsfreiheit im Hinblick auf die Pflichtteilsansprüche erwerben kann. Um sicherzugehen, dass die Kombination von Anrechnung und Ausgleichung letztlich nicht zu einem höheren Pflichtteil führt als die alleinige Anrechnung nach § 2315 BGB, sollte die Formulierung bei der Zuwendung des Vorempfangs entsprechend auf den Fall abgestimmt werden, dass ein überlebender Ehepartner vorhanden bzw. nicht vorhanden ist.
Rz. 105
Zu dem gleichen Ergebnis gelangt man im Übrigen auch dann, wenn die Ehepartner in einem anderen Güterstand als in Zugewinngemeinschaft verheiratet gewesen wären. Hierzu folgendes Beispiel:
Beispiel
Erblasser E war mit F im Güterstand der Gütertrennung verheiratet. Aus ihrer Ehe sind d...