Ingrid Groß, Dr. iur. Thomas Eder
I. Begriff
Rz. 1
"Anrechnung" bedeutet, dass zwei Angelegenheiten gebührenrechtlich zu einer Angelegenheit zusammengefasst werden. Dieses Ergebnis kann der Gesetzgeber erzielen, indem er anordnet, dass zwei Angelegenheiten als eine Angelegenheit betrachtet werden (§ 16 RVG), oder indem er bestimmt, dass angerechnet werden muss. Die Anrechnung setzt also zwei (oder mehr) gebührenrechtliche Angelegenheiten voraus.
Beispiel
Mehrere Angelegenheiten werden zu einer Angelegenheit zusammengefasst:
Ehescheidung/Aufhebung LPart und Scheidungsfolgesachen §§ 16 Nr. 4, 15 Abs. 2 RVG.
Zwei Angelegenheiten bleiben zwei Angelegenheiten, es wird aber die Anrechnung angeordnet:
Außergerichtlich wird Zugewinnausgleich geltend gemacht (außergerichtliche Angelegenheit); dann wird dieser Zugewinn bei Gericht geltend gemacht (zweite Angelegenheit) Anrechnung gem. Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG.
II. Gesetzliche Grundlagen
1. Gesetzliche Regelungen
Rz. 2
Die Anrechnung führt zu einer Minderung der anwaltlichen Gebühren und ist daher nur vorzunehmen, wenn sie ausdrücklich gesetzlich angeordnet ist. Das ist insbesondere in folgenden Fällen geschehen:
Rz. 3
(1) Die Anrechnung der Beratungsgebühr auf die Geschäftsgebühr und die Verfahrensgebühr (§ 34 Abs. 2 RVG, wobei sowohl das vereinbarte Honorar als auch der Gebührenanspruch nach bürgerlichem Recht, auch in der gekappten Fassung (§ 34 Abs. 1 S. 3 RVG), von der Anrechnungsbestimmung erfasst sind).
Rz. 4
(2) Die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr (Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG). Im Gegensatz zu § 34 Abs. 2 RVG sind vereinbarte Honorare für die außergerichtliche Vertretung nicht von der Anrechnungsbestimmung erfasst.
Rz. 5
(3) Die Anrechnung der Verfahrensgebühr/Terminsgebühr auf eine weitere Verfahrens-/Terminsgebühr (Vorb. 3 Abs. 5 u. 6; Anm. Abs. 1, 2, 3 zu Nr. 3100; Nr. 3305 mit Anm. Abs. 4 zu Nr. 3104; Nrn. 2500 ff. VV RVG; in einigen Bestimmungen im Abschnitt 5 des VV RVG).
Rz. 6
(4) Ferner ist die Anrechnung in einem speziellen Fall bestimmt: Anm. Abs. 1 zu Nr. 3101, Anm. Abs. 1 zu Nr. 3201 VV RVG; Anm. Abs. 2 zu Nr. 3104, Anm. Abs. 1 zu Nr. 3202 VV RVG.
2. Die Vorschriften im Einzelnen
Rz. 7
Die Anrechnungen gemäß (1) und die Anrechnungen gemäß (3) erfolgen, nachdem nichts anderes bestimmt ist, in voller Höhe. Die Anrechnung gemäß (2) erfolgt zur Hälfte, höchstens 0,75.
Rz. 8
Die Anrechnung (4) betrifft einen ganz speziellen Sachverhalt, der im Familienrecht durchaus nicht selten vorkommt:
Es soll im Verfahren (1) eine Einigung protokolliert werden, wobei über den Gegenstand, dessen Einigung protokolliert werden soll, bereits anderweitig ein Verfahrensauftrag erteilt oder ein Gerichtsverfahren schon an- oder rechtshängig ist (= Verfahren 2). In diesen Fällen sind Verfahrens- und Terminsgebühr aus dem Verfahren (1), soweit sie sich auf den Gegenstand des Verfahrens (2) beziehen, auf die in Verfahren (2) entstandenen gleichartigen Gebühren anzurechnen.
Rz. 9
Im RVG sind die Fälle der Anrechnung sehr differenziert geregelt.
Es gibt (1) die Anrechnung des gesamten Gebührenaufkommens (§ 34 Abs. 2 RVG, oben (1)); es gibt die teilweise Anrechnung, wie sie für die Geschäftsgebühr (2) bestimmt wurde.
Rz. 10
Für die Beratungshilfe Nr. 2500 VV RVG ist zum Teil die volle Anrechnung (Anm. 2 zu Nr. 2501), zum Teil eine teilweise Anrechnung (Anm. Abs. 2 zu Nr. 2503 VV RVG) bestimmt.
Rz. 11
Bei der Anrechnung, die oben unter (3) erwähnt wird, gibt es Fälle, in denen nur die Verfahrensgebühr auf eine Verfahrensgebühr des nachfolgenden Verfahrens angerechnet wird. Das gilt für das Vermittlungsverfahren gem. § 165 FamFG. Beim Mahnverfahren, an das sich ein Streitverfahren anschließt, wird sowohl die Verfahrensgebühr als auch die Terminsgebühr jeweils voll angerechnet (Anm. zu Nr. 3305 VV RVG für die Verfahrensgebühr, Anm. Abs. 4 zu Nr. 3104 VV RVG für die Terminsgebühr). Das Gleiche gilt für das vereinfachte Unterhaltsverfahren (Anm. Abs. 1 zu Nr. 3100 VV RVG für die Verfahrensgebühr, Nr. 3104 Abs. 4 VV RVG für die Terminsgebühr).
Rz. 12
Beispiel
Der Schuldner erhält einen Mahnbescheid über 8.000,00 EUR zugestellt. Sein Anwalt setzt sich mit dem Gläubigervertreter telefonisch in Verbindung mit dem Ziel, eine Einigung herbeizuführen. Der Versuch scheitert, der Schuldner legt Widerspruch ein, es kommt zum Gerichtsverfahren, in dem auch eine mündliche Verhandlung stattfindet.
Gebührenabrechnung des Antragsgegnervertreters:
0,5 Verfahrensgebühr Nr. 3307 VV RVG |
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(Wert: 8.000,00 EUR) |
228,00 EUR |
1,2 Terminsgebühr Vorb. 3.3.2 |
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i.V.m. Vorb. 3 Abs. 3 VV RVG |
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(Wert: 8.000,00 EUR) |
547,20 EUR |
Ans...