Rz. 29

Der Anwalt hat die Wahl, welche Gebühr ungekürzt bleiben soll und welche durch die Anrechnung gekürzt wird (§ 15a RVG).

I. Anrechnung bei unverändertem Gegenstandswert

 

Rz. 30

Wenn die Gegenstandswerte der ersten und der zweiten Angelegenheit die Gleichen sind, entstehen keine Probleme. Die Anrechnung besteht einfach darin, dass die bereits verdiente Gebühr ganz oder zum Teil von der neu verdienten Gebühr abgezogen wird.

II. Anrechnung bei verändertem Gegenstandswert

1. Grundsätze

 

Rz. 31

Die Veränderung der Gegenstandswerte kann darauf beruhen, dass der Wert des einen Gegenstandes steigt (die Unterhaltsrückstände steigen jeden Monat) oder sinkt (der Schuldner leistet eine Teilzahlung). Es kann auch sein, dass von mehreren Gegenständen, die in der ersten Angelegenheit stecken, nicht alle in die zweite Angelegenheit gelangen (Beratung fand statt wegen Unterhalt und Zugewinn; der Unterhalt wurde außergerichtlich erledigt, der Zugewinn eingeklagt), oder dass bei der außergerichtlichen Vertretung oder bei der Verfahrensvertretung ein weiterer Gegenstand dazugekommen ist (Beratung wegen Kindesunterhalt; außergerichtliche Vertretung oder Verfahren wegen Kindesunterhalt und Trennungsunterhalt). Für die Berechnung dessen, was anzurechnen ist, spielt der höhere Wert der Gebühr, auf die angerechnet wird, keine Rolle. Dieser Wert hat keinen Einfluss auf die Höhe des Anrechnungsbetrages. Probleme können entstehen, wenn der Wert der Angelegenheit, deren Gebühr angerechnet wird, höher ist als der Wert der Gebühr, auf welche die Anrechnung erfolgt.

2. Theoretisch denkbare Rechenwege

 

Rz. 32

Es kommen verschiedene Rechenwege in Betracht. Die einen eliminieren die Folgen der Gebührendegression, die anderen nicht.

 

Beispiel

Außergerichtlich wird Zugewinnausgleich von 10.000,00 EUR verlangt und eine Geschäftsgebühr von 1,5 abgerechnet. Der Schuldner bezahlt 4.000,00 EUR. Wegen 6.000,00 EUR wird die Klage eingereicht.

Die Einzelgebühren wären aus 6.000,00 EUR: 531,00 EUR; aus 4.000,00 EUR: 378,00 EUR. Die Gebühr aus 10.000,00 EUR ist 837,00 EUR.

Es gibt folgende rechnerische Möglichkeiten, den Anrechnungsbetrag zu ermitteln (es geht um die rechnerischen Möglichkeiten, die Halbierungs- und Begrenzungsvorschriften der Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG sind hier also nicht berücksichtigt!):

Methode 1:Verhältnismäßige Aufteilung nach Verfahrenswerten

 
6.000,00 EUR: 531,00 EUR Gebühr
4.000,00 EUR: 378,00 EUR Gebühr
837,00 EUR × 6.000,00 EUR : 10.000,00 EUR = 502,20 EUR = Anrechnungsbetrag

Methode 2:Verhältnismäßige Aufteilung nach Einzelgebühren

 
378,00 EUR : 531,00 EUR = 0,7119  
(Verhältnis der beiden Einzelgebühren aus 4.000,00 EUR und 6.000,00 EUR)
837,00 EUR × 1 : 1,7119 = 488,93 EUR = Anrechnungsbetrag

Methode 3: Einzelgebühr des weitergeführten Gegenstandes

Man kann die sich aus der Gebührentabelle ergebende Einzelgebühr des Gegenstandes, der in den Prozess übergeht, nehmen.

 
Das sind im Beispielsfall 531,00 EUR = Anrechnungsbetrag

Methode 4: Abzugsmethode

 
Man kann von der Gesamtgebühr 837,00 EUR
die Gebühr abziehen, die auf den Teil entfällt,  
der nur außergerichtlich behandelt wurde. – 378,00 EUR
Das ist ein Anrechnungsbetrag von 459,00 EUR

Infolge der Gebührendegression ergeben sich bedeutende Unterschiede:

Höchstens 531,00 EUR, mindestens 459,00 EUR. In der Mitte bewegen sich die beiden Verhältnisrechnungen.

 

Rz. 33

Die gleichen – theoretischen – Rechenwege ergeben sich, wenn sich nicht der Wert des einen Gegenstandes ändert, sondern ein Gegenstand, der im außergerichtlichen Mandat behandelt wurde, nicht mit ins Prozessmandat übergeht:

 

Beispiel

Es hat eine außergerichtliche Vertretung wegen Unterhalt (Wert: 2.000,00 EUR) und Zugewinn (Wert: 4.000,00 EUR) stattgefunden. Der Anwalt hat eine 1,0 Geschäftsgebühr abgerechnet (354,00 EUR). Die Einzelgebühren wären 150,00 EUR (Unterhalt) und 252,00 EUR (Zugewinn) gewesen, so dass sich ohne die Gebührendegression 402,00 EUR ergeben hätten. Der Unterhalt wird gerichtlich geltend gemacht, der Zugewinn nicht.

Wie wird der Betrag errechnet, der zu ½ maximal 0,75 angerechnet wird (Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG)?

Lösung

Man könnte – rechnerisch – die beiden Einzelgebühren vor der Anrechnung verhältnismäßig kürzen (verhältnismäßig nach dem Verhältnis der Werte (Methode 1, s. Rdn 32) oder nach dem Verhältnis der Einzelgebühren (Methode 2, 3 Rdn 32). Man könnte aber auch die sich aus der Gebührentabelle ergebende Einzelgebühr des Gegenstandes, der in den Prozess übergeht, nehmen (150,00 EUR, Methode 3, s. Rdn 32); man könnte stattdessen von der Geschäftsgebühr von 354,00 EUR die Gebühr, die auf den Zugewinn entfällt, abziehen (252,00 EUR), so dass dann nur 102,00 EUR anzurechnen sind (Methode 4, s. Rdn 32).

3. Gesetzliche Berechnungsvorschriften

a) Anrechnung gem. § 34 Abs. 2 RVG

 

Rz. 34

§ 34 Abs. 2 RVG enthält keine Berechnungsvorschrift. Ist die Anrechnung nicht ausgeschlossen, aber eine Gebührenvereinbarung getroffen, die z.B. einen Stundensatz oder eine Pauschale beinhaltet, stoßen diese Vergütungen mit der verfahrenswertabhängigen Vergütung bei der Geschäftsgebühr oder bei der Verfahrensgebühr zusammen. Soweit gem. § 34 Abs. 1 S. 2 RVG auf BGB verwiesen wird, ist die Lage nicht anders: Zwei ganz unterschiedliche Gebührensysteme s...

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