Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 27
Bei Anhaltspunkten dafür, dass der gegnerische Vortrag falsch ist, darf bestritten werden.
I. Bestreiten von Tatsachen
Rz. 28
Eine "Bestreitenslast" des Prozessgegners gibt es nicht. Auch bei negativen Tatsachen bleibt es bei den allgemeinen Regeln zur Verteilung der Darlegungslast; der Gegner kann sich – ggf. nach erfolglosen Nachforschungsbemühungen – laut § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen erklären. Der BGH hat dazu entschieden:
Zitat
"Begegnet im Einzelfall die nicht beweispflichtige Partei im Hinblick auf eine ihr obliegende Substantiierungslast ebenfalls Schwierigkeiten, weil sie die entsprechenden Tatsachen nicht kennt und auch nicht in Erfahrung zu bringen vermag, kann von ihr eine solche Substantiierung nicht gefordert werden. Andernfalls würde in einem solchen Fall, in dem sowohl der darlegungs- und beweisbelasteten Partei als auch der Gegenpartei Vortrag nicht möglich oder nicht zumutbar ist, letztlich die Darlegungslast vollständig umgekehrt und der Gegenpartei – unabhängig von ihren Kenntnissen und Erkenntnismöglichkeiten – auferlegt."
Auch das Bestreiten unterliegt der Wahrheitspflicht, § 138 Abs. 1 ZPO. Aus § 138 Abs. 3 ZPO folgt, dass ein Bestreiten ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten erfolgen kann. Ob einfaches Bestreiten ("Die Behauptung [...] trifft nicht zu.") genügt oder substantiiertes Bestreiten (d.h. mit konkreter Gegendarstellung versehenes Bestreiten) erforderlich ist, ergibt sich aus den Regeln der Darlegungslast.
Rz. 29
Unstatthaft ist:
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vorweggenommenes Bestreiten ("Schon jetzt bestreite ich das, was die Gegenseite noch vorbringen wird."), |
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pauschales Bestreiten ("Sämtliches, nicht ausdrücklich zugestandenes Vorbringen des Gegners wird bestritten."), |
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das Bestreiten "ins Blaue hinein", mithin beim Fehlen jeglicher Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit. |
Rz. 30
Ohne Rücksprache mit seinem nicht anwesenden Mandanten und ohne entsprechende Erkenntnisse über die Unrichtigkeit darf ein Prozessbevollmächtigter neues Tatsachenvorbringen in der mündlichen Verhandlung nicht bereits "vorsorglich" bestreiten, sondern sollte eine Erklärungsfrist zwecks Rücksprache beantragen.
1. Bestreiten mit Nichtwissen
Rz. 31
Kennt der Mandant den von der Gegenseite geschilderten Sachverhalt nicht (z.B., weil sich der Vorgang außerhalb seiner Wahrnehmung abgespielt oder er die Fallumstände schlicht vergessen hat), darf formuliert werden, dass die Behauptungen der anderen Partei "mit Nichtwissen" bestritten werden. Die Erklärung mit Nichtwissen steht in ihrer Wirkung dem schlichten Bestreiten gleich. Die Zulässigkeit einer solchen Erklärung hat zur Folge, dass der Beklagte nicht verpflichtet ist, substantiiert zu bestreiten. Selbst wenn der Mandant versucht, das Bestreiten näher zu begründen, wird seine Erklärung mit Nichtwissen dann nicht etwa irrelevant. Das gilt selbst dann, wenn er dabei eine Behauptung ins Blaue aufstellt.
Das Bestreiten mit Nichtwissen kann aber ausgeschlossen sein. Es bestehen folgende Ausschlusstatbestände:
Rz. 32
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Weil gemäß § 138 Abs. 4 ZPO eine Erklärung mit Nichtwissen nur über Tatsachen zulässig ist, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind, können eigene Handlungen und Wahrnehmungen demnach keinesfalls mit Nichtwissen bestritten werden. |
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Hat die Partei lediglich keine aktuelle Kenntnis über solche Tatsachen, muss sie sich – etwa durch Einsichtnahme in Aufzeichnungen – kundig machen. Bleibt dies ergebnislos, muss sie den Grund ihrer Unkenntnis, z.B. für eine fehlende Erinnerung oder die Vernichtung von Unterlagen, darlegen. Außerdem muss der Bestreitende auch sonst zumutbare Nachforschungen anstellen. Hat aber auch der Prozessgegner – mit zumutbarem Aufwand nicht überwindbare – Schwierigkeiten, den entscheidungserheblichen Sachverhalt aufzuklären, braucht er einen solchen Aufwand nicht zu betreiben. Erfolglose Nachforschungsbemühungen durch die Partei, die sich auf § 138 Abs. 4 ZPO berufen will, sind glaubhaft zu machen (indes nicht i.S.v. § 294 ZPO). |
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Eine Zurechnung fremden Wissens findet bei gesetzlicher Vertretung statt. |
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Vorgänge im eigenen Geschäfts- oder Verantwortungsbereich der Partei können nicht mit Nichtwissen bestritten werden. Laut der Rechtsprechung des BGH ist zu berücksichtigen: |