Rz. 47

Verteidigt sich der Beklagte gegen die Klage in erster Linie (hauptsächlich) mit dem Vortrag, dass er gemäß §§ 387, 388 BGB aufgerechnet hat bzw. aufrechnet, ist eine Hauptaufrechnung gegeben. Das Bestehen der Klageforderung ist dann unstreitig und wird nicht angegriffen. Die Hauptaufrechnung hat drei wesentliche Vorteile: Sie hemmt die Verjährung der Gegenforderung, allerdings nur bis zur Höhe der Klageforderung, § 204 Abs. 1 Nr. 5 BGB. Zudem taugt auch eine bereits verjährte Forderung zur Aufrechnung. Voraussetzung ist lediglich, dass sich die beiden gegenseitigen Forderungen einmal unverjährt gegenübergestanden haben, § 215 BGB. Schließlich erhöht sich bei einer Hauptaufrechnung der Streitwert nicht, vgl. § 45 Abs. 3 GKG. Danach erhöht (nur) eine Hilfsaufrechnung den Streitwert, soweit eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über sie ergeht.

 

Rz. 48

Macht der Beklagte geltend, dass die Klage neben der Aufrechnung bereits aus anderen Gründen abzuweisen ist, handelt es sich um eine Hilfsaufrechnung. Die Hilfsaufrechnung soll also nur eingreifen, wenn eine andere Verteidigungsstrategie – z.B. das Bestreiten anspruchsbegründender Voraussetzungen, eine Verjährungseinrede usw. – nicht durchgreift.[21] Das Gericht soll über sie nur entscheiden, wenn es die Klageforderung – ggf. im Ergebnis einer dazu durchgeführten Beweisaufnahme – als begründet erachtet. Die Hilfsaufrechnung steht mithin unter einer innerprozessualen Bedingung. Der Vorteil der ebenfalls verjährungshemmenden Hilfsaufrechnung besteht darin, dass das Gericht bei darüber hinausgehendem Vorbringen des Beklagten zunächst hierüber entscheiden muss, und die Gegenforderung des Beklagten erst verbraucht wird, wenn keine anderen Verteidigungsmittel greifen. Der Nachteil besteht in dem erhöhten Prozesskostenrisiko durch die Streitwertaufstockung gemäß § 45 Abs. 3 GKG. Darüber hat der Rechtsanwalt den Beklagten zu belehren.

 

Rz. 49

Wird die Aufrechnung im Prozess erklärt, ist sie gleichzeitig Prozesshandlung und materielles Rechtsgeschäft; sog. Doppelnatur der Aufrechnung.

 

Rz. 50

Bei einer Aufrechnung i.S.d. § 387 BGB muss es sich um gegenseitige Ansprüche handeln, und die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung muss gleichartig, erfüllbar und durchsetzbar sein:

Gegenseitige Ansprüche: Der Gläubiger hat gegen den Schuldner eine Forderung und der Schuldner hat gegen den Gläubiger eine Gegenforderung.
Gleichartige Ansprüche: Der Gegenstand der Leistung muss gleichartig sein, der Hauptfall sind wechselseitige Geldforderungen.
Erfüllbarer Gläubigeranspruch: Der (aufrechnende) Schuldner muss seine Leistungspflicht schon erfüllen dürfen. Das ist der Fall, wenn er zur Leistung bereit und imstande ist und keine Hindernisse, etwa eine fehlende amtliche Genehmigung, entgegenstehen. Auch darf es sich nicht um eine bloße künftige Leistungspflicht handeln oder um eine solche, die von dem Eintritt einer Bedingung abhängig ist.
Durchsetzbarer eigener Anspruch: Der Schuldner muss seine Gegenforderung schon verlangen können. Sie muss vollwirksam und fällig sein.
Die Aufrechnung muss erklärt werden, § 388 S. 1 BGB.

Die Aufrechnung darf nicht ausgeschlossen sein. Bei vertraglichen Aufrechnungsverboten sind mögliche Schranken (z.B. aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen) zu beachten. Aufrechnungsverbote können sich ferner aus dem Gesetz, u.a. §§ 390395 BGB, ergeben. Ausschlussgründe können z.B. bestehen:

wenn der Anspruch des Gläubigers nicht gepfändet werden darf, falls z.B. der Gläubiger gegen den Schuldner einen Anspruch auf Zahlung von Unterhalt hat oder
wenn der Gläubiger einen Anspruch gegen den Schuldner aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung hat.
Eine Aufrechnung kann nach § 242 BGB ausgeschlossen sein, wenn die Eigenart des Schuldverhältnisses oder der Zweck der geschuldeten Leistung die Aufrechnung als mit Treu und Glauben unvereinbar erscheinen lässt.
 

Rz. 51

 

Prozesstaktik-Tipps

Verfügt der Anspruchsgegner/Beklagte über eine Gegenforderung, mit welcher er aufrechnen kann, sollte das nach Möglichkeit schon vorprozessual geschehen, da sonst Kostennachteile drohen: Wird erst im Prozess aufgerechnet, erledigt sich die Klage (ganz oder teilweise, je nachdem, wie hoch die Gegenforderung ist). Die Erklärung der Aufrechnung ist das erledigende Ereignis für eine bis dahin zulässige und begründete Klage. Es ist damit zu rechnen, dass das Gericht im Rahmen einer Kostenentscheidung nach § 91a Abs. 1 ZPO dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegen wird. Ist schon vor dem Prozess aufgerechnet worden, war die Klage hingegen von Anfang an unbegründet und der Kläger trägt die Kosten.
Der Beklagtenvertreter darf nur dann aufrechnen, wenn er die Gegenforderung hinreichend substantiieren und der Höhe nach beziffern kann. Geschieht dies nicht, droht der rechtskräftige Verbrauch der Gegenforderung gemäß § 322 Abs. 2 ZPO.[22] Es kann daher manchmal besser sein, nicht aufzurechnen und ggf. später, wenn sich der eigene Anspruch ausreichend belege...

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