I. Grundlagen
1. Akteure und Verwaltungsangelegenheiten
Rz. 1
Vor der "Entdeckung" der Rechtsfähigkeit der Gemeinschaft (2005) und ihrer gesetzlichen Anerkennung im Zuge der WEG-Reform 2007 (→ § 1 Rdn 25) gab es nur Rechtsbeziehungen der Wohnungseigentümer untereinander; diese schuldeten sich gegenseitig eine ordnungsmäßige Verwaltung. Mit der WEG-Reform 2007 trat die Gemeinschaft als neuer Rechtsträger und eigenständiger Akteur in Erscheinung. Ihre Rolle und die des Verwalters ließen sich aber nach der Reform nicht in ein stimmiges Regelungskonzept einordnen. So war der Verwalter nach § 27 Abs. 1 WEG a.F. "gegenüber den Wohnungseigentümern und gegenüber der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer" zur Tätigkeit berechtigt und verpflichtet, weshalb vielfach unklar war, gegen wen (Verwalter oder Gemeinschaft) die Wohnungseigentümer ihren Anspruch auf ordnungsmäßige Verwaltung geltend machen konnten. Durch die WEG-Reform 2020 ist die Organisationsstruktur der Gemeinschaft auf eine neue, stimmige Grundlage gestellt und zugleich an das übrige Verbandsrecht angepasst worden. Gem. § 18 Abs. 1 WEG obliegt die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums der Gemeinschaft. Ansprüche der Wohnungseigentümer auf ordnungsmäßige Verwaltung richten sich deshalb nur gegen die Gemeinschaft. Die Grundlagen der Verwaltung legen die Wohnungseigentümer fest, indem sie gem. § 19 Abs. 1 WEG eine ordnungsmäßige Verwaltung und Benutzung beschließen, soweit nicht der Verwalter selbst entscheidungsbefugt ist. Der Verwalter als Ausführungs- und Vertretungsorgan führt die Beschlüsse Gemeinschaft aus. Daraus ergibt sich, dass in Bezug auf die Verwaltung weder zwischen den Wohnungseigentümern untereinander noch zwischen den Wohnungseigentümern und dem Verwalter Rechtsbeziehungen (Ansprüche) bestehen. Alles "läuft" über die Gemeinschaft.
Rz. 2
Zu den Verwaltungsangelegenheiten i.S.d. §§ 18 und 19 WEG gehören alle Maßnahmen, die in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht auf die Erhaltung, Sicherung oder Nutzung des gemeinschaftlichen Eigentums abzielen oder sich sonst als Geschäftsführung zugunsten der Wohnungseigentümer in Bezug auf das gemeinschaftliche Eigentum darstellen, wobei kein enger Maßstab anzulegen ist. Für Maßnahmen ohne Bezug zum gemeinschaftlichen Eigentum besteht keine Beschlusskompetenz. Das ist aber weitgehend reine Theorie, weil angesichts des weiten Verwaltungsbegriffs jede Geldausgabe und jede Anschaffung von Gegenständen von der Beschlusskompetenz umfasst ist.
2. Der Beurteilungsspielraum der Gemeinschaft
Rz. 3
Das Gesetz verlangt eine ordnungsmäßige Verwaltung. Beschlüsse, die nicht "ordnungsmäßiger" Verwaltung entsprechen, sind zwar nicht nichtig, aber anfechtbar (→ § 1 Rdn 45). Ordnungsmäßig ist gem. § 18 Abs. 2 WEG, was "dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen" entspricht. "Insbesondere" zählen dazu die in § 19 Abs. 2 WEG aufgeführten Maßnahmen; aus dem Wort "insbesondere" folgt, dass der Katalog nicht abschließend ist. Bei der Beurteilung, ob ein Beschluss ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht, ist vom Standpunkt eines vernünftigen und wirtschaftlich denkenden Menschen auszugehen. Im Falle eines Rechtsstreits (Beschlussanfechtung oder Beschlussersetzungsklage) entscheiden eine Richterin oder ein Richter darüber, ob aus ihrer neutralen Sicht als vernünftige und wirtschaftlich denkende Menschen ein angefochtener Beschluss dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen entspricht oder nicht; sie setzen der Mehrheitsmacht mit ihrer eigenen Vernunft eine Grenze, wo die Mehrheit unvernünftig handelt.
Rz. 4
Es ist aber seit jeher unstreitig, dass der Gemeinschaft bei der Beurteilung der Frage, was ihr nach billigem Ermessen nützt, ein gewisser Beurteilungsspielraum zur Verfügung steht, "der aus ihrer Verwaltungsautonomie folgt und einer auf Zweckmäßigkeitserwägungen gestützten Ungültigerklärung eines Mehrheitsbeschlusses Grenzen zieht"; es ist nicht Aufgabe der Gerichte, eigene Wertungen uneingeschränkt an die Stelle der Wertung der Wohnungseigentümergemeinschaft zu setzen. Denn abgesehen von den seltenen Fällen der "Ermessensreduzierung auf Null" gibt es stets mehrere rechtmäßige Varianten zur Regelung eines Sachverhalts. So kann eine Regelung zu den Ruhe- bzw. Musizierzeiten das Musizieren auf eine Stunde am Tag beschränken, aber auch 2–3 Stunden zulassen (→ § 3 Rdn 46). Ob die im Fall der Anfechtung zuständige Richterin selbst längere Ruhe- und kürzere Musizierzeiten bevorzugen würde (oder umgekehrt), ist nicht ausschlaggebend. Folglich darf ein Beschluss, der sich innerhalb dieses Rahmens hält, nicht für ungültig erklärt werden. Das leuchtet ohne weiteres ein und keine Richterin käme ernsthaft auf die Idee, einen Beschluss, der sich innerhalb eines vertretbaren Rahmens hält, für ungültig z...