Rz. 161
In der Einbruchdiebstahl- und Raubversicherung wurde grobe Fahrlässigkeit in folgenden Fällen bejaht (die zitierten Urteile beziehen sich teilweise auf die VHB und teilweise auf die AERB; es gelten jedoch insoweit dieselben Grundsätze):
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Unterlassenes Auswechseln eines Schlosses an einer Wohnungstür, für die der Versicherungsnehmer keinen Schlüssel erhalten hat. |
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unterlassenes Auswechseln eines Schlosses an einem Gewerbebetrieb, wenn ein Schlüssel zu dem Gebäude im Rahmen eines Einbruchs entwendet und mit diesem Schlüssel später ein weiterer Einbruchdiebstahl durchgeführt wird. |
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unterlassenes Abschließen der Wohnungseingangstür in der Silvesternacht. |
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Raubüberfall bei dem Versuch, zu Fuß in Thailand mit einem Koffer ein Hotel zu finden. |
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Kippstellung einer Balkontür während nächtlicher Abwesenheit des Versicherungsnehmers. |
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Kippstellung eines Fensters im Erdgeschoß für vier Stunden am Nachmittag. |
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Kippstellung eines Fensters im Erdgeschoß während nächtlicher Abwesenheit. |
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Aufbewahren wertvoller Gegenstände in einem Kellerverschlag. |
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Zurücklassen eines Laptops auf dem Beifahrersitz eines Pkw. |
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unterlassenes Abschließen einer lediglich in das Schloss gezogenen Wohnungstür. |
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offenes Tragen von Schmuck als Betreiberin einer Videothek, die bereits zuvor dreimal Zielobjekt von Raubüberfällen war. |
Rz. 162
Demgegenüber wurde grobe Fahrlässigkeit in folgenden Fällen verneint:
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Kippstellung eines Erdgeschossfensters für zweieinhalb Stunden bzw. dreieinhalb Stunden, |
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Kippstellung des Wohnzimmerfensters während einer abendlichen Abwesenheit, |
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Kippstellung des Fensters über Nacht bei Anwesenheit des Versicherungsnehmers, |
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unterlassenes Abschließen einer lediglich in das Schloss gezogenen Wohnungstür, |
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einfaches statt doppeltes Verschließen einer Werkstatttür, |
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Aufbewahren eines wertvollen Computers in einem Kellerverschlag, |
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unterlassenes Auswechseln von Schlössern nach dem Verlust von Schlüssel. |
Grundsätzlich ist es für die Leistungsfreiheit des Versicherers nicht erforderlich, dass das grob fahrlässige Fehlverhalten des Versicherungsnehmers für den Eintritt des Versicherungsfalles allein ursächlich war. Mitursächlichkeit reicht dafür bereits aus.
Rz. 163
Steht nicht fest, ob sich das Fehlverhalten überhaupt auf den Schadeneintritt ausgewirkt hat, ist der Versicherer nicht leistungsfrei. Von wegweisender Bedeutung ist dabei die neuere Rechtsprechung zum Problemfeld, unter welchen Voraussetzungen das Zurücklassen eines in Kippstellung befindlichen Fensters die Annahme einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls rechtfertigt. Hierfür ist nicht allein die Zeitdauer der Abwesenheit des Wohnungsinhabers von Bedeutung. Entscheidend ist vielmehr, dass sich das Fehlverhalten auch tatsächlich auf den Schadeneintritt ausgewirkt hat. Hierzu muss der Nachweis geführt werden, dass der Eintritt des Schadens zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu dem das Belassen des Fensters in Kippstellung als grob fahrlässig gewertet werden muss. Belässt ein Bewohner ein Fenster also beispielsweise dauerhaft auf Kippstellung, führt dies dann nicht zur groben Fahrlässigkeit, wenn der Einbruch durch dieses Fenster kurz nach dem Verlassen der Wohnung erfolgt. Dieser Auffassung ist zwar grundsätzlich zuzustimmen. Sie kann jedoch keine Geltung für die Fälle beanspruchen, in denen die Art und Weise des Verlassens der Wohnung für sich genommen die Vermutung begründet, der Bewohner werde auf absehbare Zeit nicht mehr in die Wohnung zurückkehren (z.B. Antritt eines Urlaubs). Weist der Versicherer nach, dass der Einbruch zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu dem durch das auf Kippstellung belassene Fenster der Schutzstandard des versicherten Gebäudes für eine zu lange Dauer herabgesetzt worden war, kann der Versicherungsnehmer einer Leistungsfreiheit des Versicherers lediglich entgegen halten, der oder die Täter wären auch ohne die Kippstellung in das Gebäude eingebrochen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn nachgewiesen wird, dass im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zum streitgegenständlichen Schadenfall weitere Einbrüche stattfanden, bei denen der oder die Täter durch das Einschlagen von Fensterscheiben oder das Aufbrechen von Türen in das Innere der Gebäude gelangten. Bei Versicherungsfällen, die dem neuen Recht unterliegen, besteht völlige Leistungsfreiheit gem. § 81 VVG 2008 nur noch bei Vorsatz. Bei grober Fahrlässigkeit ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Im Einzelnen wird auf die Kommentierungen im Allgemeinen Teil verwiesen. Inwieweit sich diese Rechtsprechung ändert, wenn nach neuem Recht grobe Fahrlässigkeit nicht mehr zum völligen Anspruchsverlust führt, bleibt abzuwarten.