Rz. 165
Im Falle einer die Arbeitskraft beeinträchtigenden Gesundheitsverletzung obliegt es nach der ständigen Rechtsprechung des Senats als Ausfluss der Schadensminderungspflicht dem Verletzten im Verhältnis zum Schädiger, seine verbliebene Arbeitskraft in den Grenzen des Zumutbaren so nutzbringend wie möglich zu verwerten.
Dem kann eine weitere Obliegenheit zur Schadensminderung vorgeschaltet sein, wenn die (verbliebene) Arbeitskraft, die durch das schädigende Ereignis herabgesetzt worden ist, durch zumutbare Maßnahmen wiederhergestellt oder jedenfalls verbessert werden kann.
Insoweit muss vom Geschädigten (Verletzten) verlangt werden, dass er, soweit er dazu im Stande ist, zur Heilung oder Besserung seiner Schädigung die nach dem Stande der ärztlichen Wissenschaft sich darbietenden Mittel anwendet.
Rz. 166
Der Vorwurf einer Obliegenheitsverletzung setzt aber voraus, dass dem Geschädigten die Therapie oder sonstige ärztliche Behandlung zumutbar ist oder gewesen wäre. So muss sich nach der ständigen Rechtsprechung beispielsweise ein Verletzter einer Operation unterziehen, wenn sie zumutbar ist. Das ist nur der Fall, wenn sie einfach und gefahrlos, nicht mit besonderen Schmerzen verbunden ist und sich weiter die sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung bietet.
Auch für eine stationäre psychiatrische oder mit belastenden Nebenwirkungen behaftete medikamentöse Behandlung ist die sichere Aussicht einer wesentlichen Besserung zu fordern, um sie als zumutbar erachten zu können.
Rz. 167
Im Rahmen der Ermittlung des Verdienstausfallschadens kann eine ärztliche Behandlung/Therapie nur als zumutbar erachtet werden, wenn die Verbesserung der Gesundheit auch zur Wiederherstellung oder Verbesserung der Arbeitskraft führen wird. Darüber hinaus kann eine Obliegenheit zur Verbesserung der Gesundheit und Wiederherstellung oder Verbesserung der Arbeitsfähigkeit nur dann angenommen werden, wenn überhaupt eine Aussicht auf eine erfolgreiche berufliche Tätigkeit – gegebenenfalls auch nach Umschulungs- oder Weiterbildungsmaßnahmen, ebenfalls in Abhängigkeit von der Zumutbarkeit – besteht. Der Geschädigte kann demnach von der Pflicht, sich um eine Arbeitsstelle zu bemühen, entbunden sein, wenn er wegen seiner unfallbedingten Beeinträchtigungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar ist und deshalb Bemühungen um eine Arbeitsstelle von vornherein aussichtslos wären.
Rz. 168
Verstößt der Geschädigte gegen die ihm obliegende Schadensminderungspflicht, indem er es unterlässt, obliegenheitsgerechte Maßnahmen zur Wiederherstellung seiner Arbeitskraft zu ergreifen und einer ihm zumutbaren Erwerbstätigkeit nachzugehen, sind nach der Rechtsprechung des Senats die erzielbaren (fiktiven) Einkünfte auf den Schaden anzurechnen. Eine quotenmäßige Anspruchskürzung kommt grundsätzlich nicht in Betracht, weil sie im Einzelfall zu sachwidrigen Ergebnissen führen kann. Die Höhe der erzielbaren Einkünfte des Geschädigten hängt nämlich nicht quotenmäßig von der Höhe des ihm entgangenen Verdienstes, sondern vielmehr davon ab, welches Einkommen er in der konkreten Situation unter Berücksichtigung aller Umstände, d.h. seiner Lebenssituation, seiner Ausbildung, einer eventuell früher ausgeübten Tätigkeit und der jeweiligen Lage auf dem Arbeitsmarkt in zumutbarer Weise erzielen könnte und von welchem Zeitpunkt an ihm eine Aufnahme der Erwerbstätigkeit zumutbar war.
Rz. 169
Gemessen daran konnte das Berufungsurteil keinen Bestand haben, soweit das Berufungsgericht eine Obliegenheitsverletzung angenommen und die Ersatzansprüche des Klägers um eine prozentuale Mitverschuldensquote gekürzt hatte.
Rz. 170
Die Revision beanstandete hinsichtlich des Vorwurfs der Unterlassung einer Therapie der rezidivierenden depressiven Störung auch zu Recht, dass das Berufungsgericht bezüglich deren Zumutbarkeit nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt hatte.
Grundsätzlich ist für eine Verletzung der Schadensminderungspflicht der Schädiger darlegungs- und beweisbelastet. Er muss beweisen, dass es dem Verletzten in seiner besonderen Lage möglich und zumutbar war, seine Krankheit zu behandeln und seine Arbeitskraft mit Gewinn einzusetzen. Den Verletzten trifft eine sekundäre Darlegungslast, er muss darlegen, was er unternommen hat, um seine Gesundheit zu verbessern und Arbeit zu finden oder was dem ggf. entgegenstand.
Rz. 171
Ob und in welchem Umfang eine Anspruchskürzung gerechtfertigt ist, konnte aufgrund der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht beurteilt werden. Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif war, wurde sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (§ 563 Abs. 1 S. 1 ZPO). Dieses wird – so der Senat – bei erneuter Befassung Gelegenheit haben, auch das weitere Vorbringen der Parteien in der Revisionsinstanz – insbesondere die Gegenrüge der Beklagten – zu berücksichtigen.
Rz. 172
Anmerkung zur Gegenrüge der Beklagten aus § 286 ZPO:
Das Berufungsgericht hat die von den Gerichtssa...