I. EU-Gruppenfreistellungsverordnungen
Rz. 5
Spezialgesetzliche Regelungen zum (deutschen) Franchise-Recht bestehen nicht mehr. Die EU-Gruppenfreistellung für Franchise-Vereinbarungen (Franchise-GVO – EU-VO 4087/88), die einzelne wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen in Franchise-Verträgen vom Wettbewerbsverbot freistellte, ist zum 31.12.1998 außer Kraft getreten. Anstelle der Franchise-GVO trat die Gruppenfreistellungsverordnung für Vertikale Vertriebsbindungen (Vertikal-GVO) in der Fassung vom 10.12.1999 (EU-VO 2790/1999), die zum 1.6.2010 von der gegenwärtig geltenden Vertikal-GVO (EU-VO 330/2010) abgelöst wurde. Seit dem 1.6.2022 gilt nun die neue Vertikal-GVO (EU-VO 720/2022).
Rz. 6
Auch wenn die Franchise-GVO außer Kraft getreten ist und die Vertikal-GVO de lege lata keine ausdrücklichen speziellen franchiserechtlichen Bestimmungen enthält, prägen diese kartellrechtlichen Regelungen das Verständnis und die Gestaltung von Franchise-Verträgen in erheblicher Weise. Dies gilt zum einen, weil die Vertikal-GVO in der gegenwärtig gültigen Fassung auch im deutschen Recht unmittelbare Anwendung findet (§ 2 Abs. 2 GWB) und insoweit die Aufnahme von an sich wettbewerbsbeschränkenden Regelungen in Franchise-Verträgen ermöglicht. Zum anderen stellte die Franchise-GVO einen wichtigen Entwicklungsschritt in der Entwicklung des Franchise-Rechts dar, weil diese die bestehende Rspr. des EuGH aufgriff und fortentwickelte; die insoweit gewonnenen Erkenntnisse spiegeln sich auch heute noch in dem Verständnis der Vertikal-GVO wieder, welches insbesondere in den Leitlinien der Kommission für vertikale Beschränkungen zum Ausdruck kommt.
1. EU-Gruppenfreistellungsverordnung für Franchise-Vereinbarungen (Franchise-GVO)
Rz. 7
Die Entwicklung der Franchise-GVO wurde maßgebend durch die Pronuptia-Entscheidung des EuGH vom 28.1.1986 bestimmt. Mit dieser Entscheidung, die aufgrund eines Vorlagebeschlusses des BGH erging, stellte der EuGH Grundsätze für die Vereinbarkeit eines Franchise-Vertrages mit dem Kartellverbot des EG-Vertrages (Art. 101 AEUV = Art. 81 Abs. 1 bis vormals Art. 85 Abs. 1 EGV) auf. Der EuGH erklärte praktisch alle Wettbewerbsbeschränkungen, die er für das Funktionieren eines Franchise-Systems für "unerlässlich" hielt, als vom Verbot des Art. 81 Abs. 1 EGV ausgenommen. Diese Entscheidung des EuGH und die Beschlüsse der EU-Kommission zur Einzelfreistellung legten die Grundsätze fest, anhand derer die EU-Kommission die Franchise-GVO entwickelte.
Hinweis
In der Franchise-GVO statuierte die EU-Kommission, welche Regelungen in Franchise-Verträgen von ihr nicht als gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV (= Art. 81 EGV) verstoßend angesehen wurden. Soweit Franchise-Verträge mit diesen Festlegungen in Einklang standen, also freigestellt waren, bedurften diese keiner besonderen Anmeldung bei der Kommission (Erwägungsgrund 16 der Franchise-GVO) und somit auch keiner Freistellung im Einzelfall.
Rz. 8
Insofern war die Franchise-GVO dem Grunde nach die erste Leitlinie nicht nur zur inhaltlichen Gestaltung von Franchise-Verträgen, sondern legte auch die Anforderungen fest, die das EU-Vertriebskartellrecht an die Wirksamkeit von Franchise-Verträgen postulierte.
Die einzelnen Entwicklungen dieser EU-Gruppenfreistellungsverordnungen und damit auch deren Bedeutung für die Gestaltung von Franchise-Verträgen ergeben sich aus den Ausführungen in der Vorauflage, sodass insoweit nur die neuen seit dem 1.6.2022 geltenden Regelungen auf der Grundlage der EU-VO 720/2022 dargestellt werden