Rz. 115
Bei der Sittenwidrigkeitskontrolle von Vertriebsverträgen – und damit auch Franchise-Verträgen – nach § 138 BGB steht der Schutz des Absatzmittlers vor einseitigen Beschränkungen seiner wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit im Vordergrund. Verhindert werden sollen Missbräuche der Privatautonomie; etwa wenn der Franchise-Nehmer in sittenwidriger Weise geknebelt wurde und dadurch die vertraglichen Regelungen die wirtschaftliche Entfaltung in einem solchen Maße beschnitten wird, dass diese ihre Selbstständigkeit und wirtschaftliche Entschließungsfreiheit im Ganzen oder im wesentlichen Teil einbüßt. Dabei kann ein Franchise-Vertrag nicht schon deswegen nach § 138 BGB als sittenwidrig angesehen werden, weil dieser hauptsächlich die Pflichten des Franchise-Nehmers regelt. Dies ist ein Resultat des Vertragstypus "Franchise-Vertrag" und lässt an dessen Zulässigkeit als solche keine Zweifel aufkommen.
Hinweis
Diese Inhaltskontrolle des Franchise-Vertrages gem. § 138 BGB steht neben der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle gem. §§ 305 ff. BGB und ist umso mehr von Bedeutung, je intensiver der Franchise-Nehmer in das Vertriebssystem des Franchise-Gebers eingebunden ist und je ausgeprägter der Franchise-Nehmer auf die Interessen des Franchise-Gebers abzustellen hat. Dass Franchise-Verträge damit der Sittenwidrigkeitskontrolle unterliegen, ist unstreitig.
Rz. 116
Ein Franchise-Vertrag kann sittenwidrig sein, wenn er gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Sittenwidrig i.S.v. § 138 BGB kann aber auch ein Franchise-Vertrag sein, wenn er die wirtschaftliche Entfaltung des Franchise-Nehmers in einem nicht hinzunehmenden Maß beschneidet, sodass dieser seine Selbstständigkeit weitgehend einbüßt. Letztlich kann eine Sittenwidrigkeit des Franchise-Vertrages gegeben sein, wenn dieser eine Vielzahl von Bestimmungen enthält, die den Franchise-Geber einseitig begünstigen, den Franchise-Nehmer aber übermäßig in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit einschränken, ohne dass diesem dafür eine entsprechende Gegenleistung gewährt wird.
Rz. 117
Der Verstoß eines Franchise-Vertrages gegen § 138 BGB liegt auch dann vor, wenn der Franchise-Nehmer jegliche Risiken trägt und sich der Franchise-Geber der Übernahme eines jeglichen Risikos enthält, jedoch gleichzeitig über die Richtlinienkompetenz des Franchise-Handbuchs maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke des Franchise-Outlets des Franchise-Nehmers erhält.
Rz. 118
Ein Verstoß gegen § 138 BGB kann auch dann vorliegen, wenn Franchise-Geber planmäßig erfolgreiche Franchise-Outlets durch die Systemzentrale zurückzukaufen. Bei einer solchen Vertragsgestaltung lässt der Franchise-Geber auf eigenes Risiko Franchise-Outlets aufbauen, die er bei Beendigung des Franchise-Vertrages sodann übernehmen kann. Je besser die Aufbauarbeit des Franchise-Nehmers ist und je erfolgreicher dieser gearbeitet hat, umso größer ist der Anreiz für den Franchise-Geber, das Franchise-Outlet in ein möglicherweise neben dem Franchise-System bestehendes Filialsystem zu überführen.
Rz. 119
Auch die Dauer von Franchise-Verträgen, die auf mehrere Jahre ohne ordentliche Kündigungsmöglichkeit abgeschlossen werden, hat der BGH anhand des Wertungsmaßstabes des § 138 BGB geprüft. Danach ist dann eine übermäßige Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit des Franchise-Nehmers und somit ein Verstoß gegen § 138 BGB anzunehmen, wenn die Laufzeit des Vertrages mehr als 20 Jahre beträgt. Dabei ist davon auszugehen, dass ein Franchise-Vertrag mit einer Zeitdauer von 20 Jahren "die äußerste Grenze des gerade noch Zulässigen in einem Ausnahmefall" erreicht. Inwieweit diese Rspr. vor dem Hintergrund der Vertikal-GVO noch gilt, bleibt abzuwarten. Möglicherweise gehört diese Rspr. schon deswegen der Vergangenheit an, weil zukünftig nur noch Franchise-Verträge mit jeweils 5-jähriger Festlaufzeit abgeschlossen werden. Dabei wird zukünftig auch § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB eine größere Bedeutung bei der Laufzeitkontrolle von Franchise-Verträgen zukommen. § 307 Abs. 1 BGB verlangt die Prüfung der Frage, ob die vereinbarte Vertragsdauer vor dem Hintergrund der Abwägung der Interessen von Franchise-Geber und Franchise-Nehmer, insb. der von diesem getätigten Investitionen eine billige und gerechte Regelung darstellt oder ob sie das Gleichgewicht der Rechte und Pflichten zum Nachteil des Franchise-Nehmers erheblich stört. Von Bedeutung wird daher auch sein, ob sich die Investitionen des Franchise-Nehmers innerhalb der vertraglich vereinbarten Festlaufzeit amortisieren. Insoweit ist zukünftig die Laufzeit eines Franchise-Vertrages immer in Relation zu den getätigten Investitionen zu setzen.
Allerdings hat sich die Kontrolle der Laufzeit eines Franchise-Vertrages zunehmend aus dem Sittenwidrigkeitsverdikt des § 138 BGB herausgelöst und zu einer Inhaltskontrolle gem. §§ 305 ff. BGB verlagert hat.
Rz. 120
Martinek weist zu Recht...