Rz. 81
Der Generalanwalt sieht in der britischen Regelung eine Beschränkung der britischen Gesellschaft beim Verlassen des Landes, da ihr eine ungünstige Behandlung widerfährt, wenn sie Tochtergesellschaften in anderen Mitgliedstaaten gründen möchte. Die britische Regelung schaffe ein Hemmnis, das die Gesellschaften mit Sitz im Vereinigten Königreich davor abschrecke, Tochtergesellschaften in anderen Mitgliedstaaten zu gründen.
Rz. 82
Der Generalanwalt prüft sodann, ob eine Rechtfertigungsmöglichkeit für die beschränkende Maßnahme besteht. Das Argument der deutschen Regierung, dass ansonsten eine Verringerung der Steuereinnahmen erfolge und dies zu Haushaltsrisiken führe, wird mit dem Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH abgelehnt, wonach dies grundsätzlich nicht als zwingender Grund des Allgemeininteresses anerkannt ist. Eingehender setzt sich der Generalanwalt mit zwei anderen möglichen Rechtfertigungsgründen auseinander, nämlich zum einen mit dem steuerlichen Territorialitätsgrundsatz und zum anderen mit der Notwendigkeit, die Kohärenz des Steuersystems zu gewährleisten.
Rz. 83
Unter dem steuerlichen Territorialitätsgrundsatz versteht man, dass ein Staat keine steuerliche Vergünstigung gewähren dürfe, wo er über keine Zuständigkeit zur Besteuerung verfüge. In diesem Zusammenhang verweist der Generalanwalt allerdings darauf, dass im vorliegenden Fall der Antrag auf Steuerabzug von der Muttergesellschaft gestellt wurde, die der unbeschränkten Steuerpflicht im Vereinigten Königreich unterliege. Das Territorialitätsprinzip sei daher nicht betroffen.
Rz. 84
Als wichtiges Korrektiv im Gemeinschaftsrecht dient jedoch der Begriff der steuerlichen Kohärenz. Im Rahmen der steuerlichen Kohärenz soll vermieden werden, dass die Anwendung der Verkehrsfreiheiten zu ungerechtfertigten Beeinträchtigungen der inneren Systematik der nationalen Steuersysteme führt. Dabei ist darauf zu achten, dass die Integrität der nationalen Steuersysteme geschützt wird, ohne dass die Integration der Systeme im Rahmen des Binnenmarktes behindert wird.
Rz. 85
Der Generalanwalt verweist darauf, dass eine Vergünstigung dann versagt werden kann, wenn sich in der Systematik der Regelung erweist, dass ein unmittelbarer notwendiger Zusammenhang zwischen der Gewährung einer steuerlichen Vergünstigung und dem Ausgleich dieser Vergünstigung durch eine bestimmte Steuererhebung besteht. Die Klägerin macht hingegen geltend, dass ein unmittelbarer Zusammenhang nur im Rahmen ein und derselben Steuerart und bei ein und demselben Steuerpflichtigen vorliegen könne. Dies sei jedoch vorliegend nicht der Fall, da die der Muttergesellschaft gewährte Vergünstigung und die Abgabe, die den Tochtergesellschaften auferlegt werden könne, verschiedene Steuerpflichtige im Rahmen verschiedener Steuerregelungen betreffen. Generalanwalt Poiares Maduro sieht diese Auslegung – entgegen der bisherigen EuGH-Rechtsprechung – allerdings als zu eng an und stellt vielmehr auf die Zielsetzung der in Rede stehenden Regelung ab. Im Ergebnis sieht er eine Möglichkeit der Rechtfertigung der Beschränkung, weil der Zweck der britischen Regelung des Konzernabzuges darin bestehe, die Wirkungen der Bildung eines Konzerns steuerlich zu neutralisieren. Es fragt sich jedoch, ob dies dadurch erreicht wird, dass der Konzernabzug für Tochtergesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat pauschal versagt wird. Gerechtfertigt erscheint das Verbot der Übertragung der ausländischen Verluste auf die Ergebnisse der Muttergesellschaft vielmehr nur dann, wenn diese Verluste im Staat der Niederlassung der Tochtergesellschaft übertragen oder vorgetragen werden können. Zu berücksichtigen sei daher in der Beurteilung auch die Behandlung von Verlusten der Tochtergesellschaften in den Staaten ihres Sitzes.
Rz. 86
Der Generalanwalt kommt somit zu dem Schluss, dass die britische Regelung deshalb gegen die Niederlassungsfreiheit verstoße, weil sie nicht die steuerlichen Vorschriften in den Staaten, in welchen die Tochtergesellschaft ihren Sitz hat, ausreichend berücksichtigt. Ausdrücklich betont er jedoch, dass das Recht auf einen Konzernabzug davon abhängig gemacht werden könne, dass die Verluste der in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Tochtergesellschaften in diesen Mitgliedstaaten keine gleichwertige steuerliche Behandlung erfahren.
Rz. 87
Die Schlussanträge von Generalanwalt Poiares Maduro wurden allgemein zurückhaltend beurteilt. Es fällt auf, dass er unter Aufweichung der bisherigen EuGH-Rechtsprechung den Rechtfertigungsgrund der Kohärenz des Steuersystems ausweiten möchte, da vorliegend verschiedene Steuerpflichtige im Rahmen verschiedener Steuerregelungen betroffen sind. Es wird vorgebracht, dass die bloße Verlustvortragsmöglichkeit im Ansässigkeitsstaat der Verlustgesellschaft vor Verbrauch des Verlustvortrages durch Verrechnung mit Gewinnen zumindest dann nicht als Rechtfertigung tauge, wenn darauf nach dem maßgeblichen Recht nicht verzichtet werden könne. Es dürfe...