Rz. 88

Der Gerichtshof schloss sich im Ergebnis den Schlussanträgen des Generalanwalts an und entschied, dass die Geltendmachung von Verlusten der ausländischen Tochtergesellschaft dann ermöglicht werden muss, wenn die Verluste im Staat der Tochtergesellschaft weder für vergangene noch für künftige Veranlagungszeiträume realisiert werden können.

 

Rz. 89

Den beschriebenen Konzernabzug sieht der EuGH als Steuervergünstigung an,[223] da er den Ausgleich der Verluste defizitärer Gesellschaften durch ihre unmittelbare Verrechnung mit den Gewinnen anderer Konzerngesellschaften beschleunigt und dem Konzern dadurch einen Liquiditätsvorteil verschafft. Wird nun die grenzüberschreitende Verlustverrechnung ausgeschlossen, so behindere dies die Muttergesellschaft in ihrer Niederlassungsfreiheit, da sie dadurch von der Gründung von Tochtergesellschaften in anderen Mitgliedstaaten abgehalten werde.[224]

 

Rz. 90

Bezüglich einer etwaigen Rechtfertigung des Eingriffs stellt der Gerichtshof zwar fest, dass der Rückgang von Steuereinnahmen grundsätzlich nicht als zwingender Grund des Allgemeininteresses angesehen werde. Er erkennt aber an, dass es zur Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten erforderlich sei, auf die wirtschaftliche Tätigkeit der in einem dieser Staaten niedergelassenen Gesellschaften sowohl in Bezug auf die Gewinne als auch auf die Verluste nur dessen Steuerrecht anzuwenden. Er stimmt auch der Begründung zu, dass die Möglichkeit eingeräumt werden müsse, eine doppelte Verlustberücksichtigung zu verhindern. Außerdem erkennt er den vorgebrachten Gesichtspunkt der Steuerfluchtgefahr an, da ggf. mit der Übertragung von Verlusten in die Staaten mit den höchsten Steuersätzen zu rechnen sei.[225] Der EuGH zeigt sich damit entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung recht großzügig, was die Anerkennung von Rechtfertigungsgründen anbelangt.[226] Da die meisten EU-Staaten die Möglichkeit des Verlustvortrages kennen, dürfte die Verlustverrechnung über die Grenze auch in Zukunft eher die Ausnahme denn die Regel sein.[227]

[223] Kritisch hierzu Hey, GmbHR 2006, 113, 114.
[224] So auch Müller/Müller, GmbHR 2005, 1550.
[225] Zu den Abweichungen des Urteils im Vergleich zu den Schlussanträgen des Generalanwalts Poiares Maduro vgl. Herzig/Wagner, DStR 2006, 1, 7 f. Zu den Abweichungen des EuGH von seiner bisherigen Rechtfertigungsdogmatik vgl. Hey, GmbHR 2006, 113, 120 f.
[226] Dürrschmidt/Schiller, NZG 2006, 103, 104.
[227] So Crezelius im Rahmen der 4. Gesellschaftsrechtlichen Jahrestagung des DAI am 17./18.3.2006.

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